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Neutropenie - Infektionsgefahr während Chemotherapie durch Mangel an Blutzellen

Prof. Dr. med. Hartmut Link
Chefarzt der Klinik für Innere Medizin 1
Klinik für Innere Medizin 1
Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern
Hellmut-Hartert-Straße 1
67655 Kaiserslautern

Tel.: 0631 – 203 1260
Fax: 0631 – 203 1548

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PROTOKOLL

Neutropenie - Infektionsgefahr während Chemotherapie durch Mangel an Blutzellen

PROF. LINK: Wir beginnen um 19 Uhr.

Mursi : Ab wann spricht man von einer Neutropenie?

PROF. LINK: Die Neutropenie bedeutet die Anzahl der neutrophilen Granulozyten im Blut. Das ist eine bestimmte Art von weißen Blutzellen, im Gegensatz zu den roten Blutzellen. Diese werden schon seit langer Zeit nach ihrer Eigenschaft, wie sie sich für das Mikroskopieren anfärben lassen, bezeichnet. Daraus leitet sich der Begriff Neutropenie ab, also ein Mangel an neutrophilen Granulozyten. Für diese Zellen gibt es bestimmte Normalwerte im Blut. Der Normalwert liegt z. B. bei 1.500 Zellen pro Kubikmillimeter. Wenn dieser Wert unterschritten wird, dann spricht man von Neutropenie, wobei es natürlich unterschiedliche Schweregrade gibt. Die wirklich problematische Neutropenie liegt bei Werten unter 500 Zellen pro Kubikmillimeter.

Spethmann : Aufgrund von Chemotherapie wegen Darmkrebs habe ich eine stark verminderte Neutrophilenzahl. Liegt zwischen 1.000 und 500/mm3. Ich weiß, dass damit das Risiko einer Infektion für weitere Erkrankungen sehr hoch ist. Gegenwärtig habe ich eine sehr störende Sommererkältung, kann schlecht atmen und ich habe Angst, dass das auf die Lunge geht. Mein Arzt schlägt eine Injektion vor, dann brauche ich nicht regelmäßig Tabletten nehmen. Ist das ein guter Vorschlag? Gibt es da mehrere Mittel zur Auswahl? Welche sind besonders wirksam mit wenigen zusätzlichen Belastungen?

PROF. LINK: Ich gehe davon aus, dass Ihr Arzt meint, nach der Chemotherapie die Regeneration der weißen Blutkörperchen mit dem Medikament G-CSF anzuregen. Diese Stimulation der weißen Blutbildung geht nur mit Injektionen oder Infusionen. Tabletten gibt es dafür bisher nicht. Es gibt einige verschiedene Präparate auf dem Markt für die Stimulation der Nachbildung der weißen Blutkörperchen. Es gibt Präparate, die müssen täglich subkutan gespritzt werden, bis der Wert der Granulozyten ausreicht. Es gibt auch die Möglichkeit, mit einem langwirksamen Präparat zu behandeln, dieses muss nur einmal nach der Chemotherapie gespritzt werden. Beide Methoden sind gut wirksam. Man geht davon aus, dass das langwirksame Präparat etwas stärker wirkt.

Magda : Was bitte ist keimarme Kost, um eine Infektion bei niedrigen Granulozyten zu verhindern. Bin ganz sprachlos, weil mir ein befreundeter Arzt (kein Onkologe) sagte das sei komplett dummes Zeug

PROF. LINK: Es gibt keimarme Kost, mit der Möglichkeit die Belastung zu Infektionen zu vermeiden. Das bedeutet z. B., Lebensmittel, die man nicht gut reinigen kann, zu vermeiden. Dazu zählen Salate, Erdbeeren, günstig ist es z. B. mit Äpfeln, Orangen, Bananen, die geschält werden können und somit keine Belastung durch Keime tragen. Insofern gibt es schon Unterschiede zwischen verschiedenen Lebensmittel, wie hier z. B. beim Obst. Außerdem sind bestimmte Nahrungsmittel, die nicht gekocht werden können riskant, weil sie das Risiko einer Infektion erhöhen. Dazu zählen z. B. sämtliche rohen Fleischspeisen (Mett, Tartar oder nicht durchgegrilltes Fleisch). Nicht zu vergessen ist auch die Rohmilch, die nicht pasteurisiert ist und daher gefährliche Keime tragen kann. Dasselbe gilt auch für Rohmilchkäse. Natürlich gibt es Keimfreiheit nur bei steriler Kost bzw. keimfreier Kost, die meistens nur bei konservierten Nahrungsmitteln gegeben ist. Unter www.leukaemie-hilfe.de/broschuerenangebot.html finden Sie eine informative Broschüre zu diesem Thema mit dem Namen "Infektion? Nein, danke! Wir tun etwas dagegen"

micky.anders : Ich habe mich damit jetzt mal richtig befasst, denn meine Frau hatte bei ihrem letzten Chemoblock eine ganz böse Infektion. Es sind 3 Jahre vergangen. Jetzt ist leider wieder eine Chemotherapie (Grunderkrankung Brustkrebs mit zwei Metastasen in der Hüfte) erforderlich und da wollen wir alles besser machen. Warum die Ärzte damals nicht von selbst darauf gekommen sind, weiß ich nicht. Ich weiß nur, meine Frau hatte vor ihrer Erkrankung ein hervorragendes Abwehrsystem. Alle fünf Jahre mal ein bisschen Schnupfen. Ich möchte den Onkologen darauf ansprechen, meine Frau will das nicht. Was rät Prof. Link?

PROF. LINK: Sie könnten bei der jetzt geplanten Chemotherapie von den früheren Erfahrungen berichten und dass Sie Sorge hätten, dass Ihre Frau eine erneute Infektion erleiden würde. Fragen Sie den Onkologen, ob das Infektionsrisiko bei dieser Art der Chemotherapie erhöht sei. Sie hätten gehört, dass man die Bildung der weißen Blutkörperchen bei bestimmten Chemotherapieprotokollen am Tag nach der Therapie mit einem Wachstumsfaktor stimulieren könne.

Nauendorf : Ich bekomme Neulasta-Injektionen damit sich mein Immunsystem wieder erholt. Die Werte sind eigentlich nicht so schlecht bin schon wieder einiges über 2000 Granus und es steigt weiter. Damit bin ich verstandesgemäß aus dem gefährlichen Bereich heraus. Ich fühle mich aber so unsicher, dass ich nach wie vor kaum vor die Tür gehen mag und mich komplett abkapsele, was meine Frau nicht mehr versteht und das führt bei uns zu Spannungen. Gibt es so eine Art Garantiezahl, wo ich sicher sein kann wieder ausreichend geschützt zu sein?

PROF. LINK: Sie können beruhigt sein, wenn der Normalwert von 1.500 Granulozyten pro Kubikmillimeter erreicht ist, liegt das Infektionsrisiko nicht höher als ohne Chemotherapie.

Emre : Warum macht die Chemo gerade die wichtigen Blutzellen zum Schutz der Immunabwehr platt?

PROF. LINK: Das hängt damit zusammen, dass die Blutzellen sehr schnell nachwachsen und als reife Zellen nur eine sehr kurze Lebensdauer haben, im Schnitt 7 bis 12 Stunden. Daraus kann man erkennen, dass die Blutbildung kontinuierlich arbeitet und sich dauernd Zellen teilen müssen. Diese sich teilenden Zellen sind sehr empfindlich auf Chemotherapie. Deswegen reagieren das Immunsystem und hier insbesondere die Granulozyten sehr empfindlich auf Chemotherapie.

DanielWüllner : Ich bekomme hochaggressive Zytostatika um zu verhindern, dass sich Metastasen nach einer Prostatakrebs-Operation ausbreiten können. Leider hatte der Krebs schon die Kapsel gesprengt. Nun habe ich das nächste Problem. Bei mir hat sich die Zusammensetzung vom Blut ganz stark verändert und bestimmte Werte sind beängstigend gesunken. Deshalb ist die Chemotherapie abgeschwächt worden, was ich nicht wollte und bei mir erhebliche innere Unruhe auslöst, denn der Krebs ist ja das viel größere Problem. Mir wurde jetzt eine Spritzenbehandlung angeboten um mein Blutbild zu verbessern. Ich bekomme ohnehin schon so viele Medikamente, dass ich Angst vor jedem weiteren habe. Es heißt Neulasta. Kann der Experte das empfehlen?

PROF. LINK: Dieses Präparat Neulasta soll verhindern, dass die neutrophilen Granulozyten nach der Chemotherapie zu stark abfallen. Wenn dieser Abfall vermieden wird, kann die geplante Dosis der Chemotherapie gegeben werden und dadurch besteht eher die Chance, dass Ihre Krebserkrankung adäquat behandelt wird. Es ist sicherlich auch möglich, die Dosis der Chemotherapie zu verhindern, dadurch wird aber Ihre Krebskrankheit weniger intensiv behandelt. Die Behandlung mit dem Präparat Neulasta ist im Prinzip gut verträglich. Einige Patienten bekommen, wenn die Blutbildung nachwächst etwas Schmerzen im Rücken oder haben ein Gefühl wie bei einer leichten Grippe, dieses ist jedoch nur ganz kurzzeitig und kann gut mit einfachen Grippemitteln behandelt werden. Eine Prophylaxe des Abfalls der weißen Blutkörperchen gehört zum Standard der Chemotherapie und sollte - wenn erforderlich - immer gemacht werden.

Wolframehlers : Hat eine Radiotherapie die gleichen Auswirkungen auf das Immunsystem wie eine Chemo?

PROF. LINK: Eine Radiotherapie, bzw. Strahlentherapie, wirkt auch auf die Blutbildung, wenn blutbildende Bereiche des Knochens im Strahlengang liegen. Beispielsweise wenn Bestrahlungen im Becken oder an der Wirbelsäule stattfinden. Bei Bestrahlungen z. B. der Brust oder auch des Kopfes ist das Risiko, dass die Blutbildung berührt wird, gering. Es kommt auch auf die Größe des Bestrahlungsfeldes an und natürlich auf die Strahlendosis.

Gräbner : Wie lange dauert es, bis die Chemotherapie die Blutbildung verändert? Wie lange dauert es, bis eine Behandlung anschlägt um einer Neutropenie entgegenzuwirken bevor sie richtig entstanden ist?

PROF. LINK: Die Veränderung der Blutbildung hängt auch von der Art der Chemotherapie ab, es gibt Substanzen, die wirken ziemlich stark auf die Blutbildung, andere wiederum kaum. Die Chemotherapie wirkt, in dem sie mit den Knochenmarkzellen in Kontakt kommt und die Blutbildung unterdrückt. Sobald die Chemotherapie aus dem Körper verschwunden ist oder abgebaut wurde, ist auch keine Wirkung mehr auf die Blutbildung vorhanden. Da aber nur die Vorläuferzellen der Granulozyten empfindlich sind auf die Chemotherapie, weil diese Zellen sich teilen, dauert es zwei bis fünf Tage, bis der Nachschub aus dem Knochenmark nicht mehr ausreicht. Aus der Wirkung der Chemotherapie ist erkennbar, dass diese Wirkung nicht vermieden werden kann. Man kann mit der Stimulation der Blutbildung allerdings erreichen, dass die Lücke in der Neubildung der Regeneration verkleinert wird. D. h. das Medikament G-CSF beschleunigt die Regeneration und Ausreifung der Vorläuferzellen der Granulozyten. Insofern kann die Regeneration der Granulozyten bei einer mittelstarken bis starken Chemotherapie um etwa drei bis fünf Tage beschleunigt werden.

Jorkisch : Wir passen alle total auf, dass keiner irgend etwas einschleppt in die Familie mit Sterilium, täglichem Handtuchwechsel, viel häufigeres Waschen/reinigen von Oberbekleidung usw. Jetzt habe ich mir dennoch eine Erkältung eingefangen und will deshalb für eine Woche zu meinem Bruder ziehen, weil meine Frau mitten in der Chemotherapie ist. Sie findet das übertrieben und möchte mich in ihrer Nähe haben. Was ist wichtiger, dass meine Frau sich nicht alleingelassen fühlt, oder dass ich meine Keime von ihr fernhalte?

PROF. LINK: Selbstverständlich sollte man darauf achten, dass man seine Angehörigen unter Chemotherapie nicht mit einer Infektionskrankheit konfrontiert. Insofern ist es schon sinnvoll bei Erkältungskrankheiten durch die üblichen Vorsichtsmaßnahmen das Risiko der Ansteckung zu vermindern. Weitere Maßnahmen sind aber - außer den üblichen Hygienemaßnahmen - nicht erforderlich. Dazu gehören natürlich Händewaschen vor dem Essen und nach der Toilette etc. Weitere Maßnahmen sind allerdings nicht wirksam und beschäftigen und belasten die Familie nur unnötig. Ich kann Ihnen daher guten Gewissens empfehlen, sich wieder in Ihrer Wohnung zusammen mit Ihrer Frau aufzuhalten.

Bielich : Uns wurde mit auf den Weg mitgegeben auf alle Anzeichen einer Infektion genau zu achten. Das tun wir auch. Meine Frau fährt wahnsinnig gern Fahrrad und es ist ihr höchstes Glück, dieses auch weiterhin zu machen. Seit 20 Jahren hatte sie keinen Sturz. Neulich ist sie gestürzt hatte aber nur Hautabschürfungen. Sie bekam sofort eine Tetanus-Auffrischung aber wir sind trotzdem sehr besorgt, dass sich daraus etwas entwickeln könnte, denn ihre Ganulozyten werden weniger, das hat die letzte Blutuntersuchung ergeben. Ich will meine Frau ja auch nicht verrückt machen mit all dem, worauf wir gucken müssen. Worauf sollen wir unser besonderes Augenmerk richten?

PROF. LINK: Ein typisches Anzeichen einer Infektion ist Fieber (38 Grad Celsius oder mehr, gemessen im Mund mit einem handelsüblichen Thermometer). Weitere Anzeichen können starkes Schwitzen, Unwohlsein, Müdigkeit, Rötungen der Haut, Husten, Luftnot, Brennen beim Wasserlassen oder Durchfall sein. Bezogen auf die Verletzung nach dem Sturz mit dem Fahrrad sollte die Wunde regelmäßig vom Arzt inspiziert werden. Sollte sich eine Infektion ausbreiten, wird üblicherweise mit Antibiotika behandelt.

Giwi : Es geht um meinen Vater 76 Jahre, Darmkrebs, OP, jetzt Chemotherapie. Bisher sind wir davon ausgegangen, dass der Port für die Chemo eigentlich eine gute Sache ist und vieles erleichtert. Um so erstaunter war ich, als uns gesagt wurde mein Vater solle nicht baden, sondern lieber duschen, weil dann weniger Gefahr für eine Infektion bestünde. Warum, was ist dabei anders?

PROF. LINK: Es gibt keinen Grund für Ihren Vater, kein Bad zu nehmen, sofern das Bad nicht allzu lange dauert und die Gefahr der Hautschädigung besteht, über die Infektionen in die Haut eindringen könnten. Mit dem Port kann sicherlich gebadet werden, auch Besuche von Badeanstalten sind möglich.

Lucky : Es geht mir richtig dreckig, weil ich mir auch noch eine Innenohrentzündung eingefangen habe. Wie bekommt man die in dieser Jahreszeit??? Ich finde das jetzt im Sommer besonders anstrengend. Mir brummt der Kopf. Ist schon fast peinlich das zu erwähnen, weil es eigentlich um ganz was anderes geht. Aber diese Entzündung hält sich hartnäckig viel länger als normal, sagt mein hausarzt. Jetzt hat diese lächerliche Ohrentzündung dafür gesorgt, dass die Chemotherapie verkürzt wurde. Eine Katastrophe, obwohl mir der Onkologe versichert hat, das sei gar nicht so selten und deshalb würde der Krebs nicht sofort wieder wachsen. Da soll offenbar ein Zeitfenster bleiben, damit die Ohren ausheilen können und zeitgleich könnte sich dann mein Immunsystem erholen. Meine größte Sorge ist aber, was ist, wenn so etwas ähnliches noch mal passiert? Wird dann wieder abgebrochen?

PROF. LINK: Es wäre eventuell sinnvoll, einen HNO-Arzt zu Rate zu ziehen, um die Behandlung der Innenohrentzündung optimieren zu können. Prinzipiell sollten Chemotherapien nicht durchgeführt werden, wenn relevante Infektionen bestehen. Die Chemotherapie sollte im geplanten Zeitfenster durchgeführt werden, allerdings kann das bei keinem Patienten 100 %ig durchgezogen werden. Insofern sind Abweichungen immer akzeptabel und nur bedenklich, wenn die komplette Chemotherapie verzögert oder die Dosis vermindert werden muss. Ob die Chemotherapie abgebrochen wird, kann nicht vorhergesagt werden, ggf. muss auch eine regelmäßige HNO-ärztliche Betreuung parallel erfolgen, damit die Therapie sicher durchgeführt werden kann. Sollte die Infektion bei Neutropenie entstanden sein, empfiehlt sich eine Prophylaxe der Neutropenie mit einem Wachstumsfaktor der Blutbildung, dem Wirkstoff G-CSF, nach der Chemotherapie.

Heiner_Froehlich : Gibt es unterschiedliche Arten von Wachstumsfaktoren, die dabei helfen Infektionen zu verhindern? Wie lange hält sowas an, muss die Behandlung genau so oft wiederholt werden, wie die einzelnen Chemotherapien eines Durchgangs?

PROF. LINK: Es gibt als wichtigsten Faktor in Deutschland das Medikament Filgrastim, das von verschiedenen Herstellern unter verschiedenen Namen verfügbar ist. Eine Weiterentwicklung dieses Filgrastims ist das Medikament Pegfilgrastim, das mit einem Molekül namens Polyethylenglykol verbunden ist, dadurch wird der Abbau und die Ausscheidungen des Präparates verzögert, so dass dieses Präparat nur einmal injiziert werden muss, im Gegensatz zum klassischen Filgrastim, das täglich appliziert wird. Die Substanzgruppe heißt Granulozyten-Kolonie-Stimulierender Faktor (G-CSF). Es gibt noch einen weiteren Wachstumsfaktor für die Stimulation der weißen Blutkörperchen. Dieser stimuliert nicht nur die Produktion der Granulozyten, sondern auch der Monozyten und Makrophagen. Diese Zellen des Immunsystems sind ebenfalls wichtig für die Infektabwehr. Das entsprechende Präparat heißt Granulozyten-Monozyten-Kolonie-Stimulierender Faktor (GM-CSF). Dieser ist jedoch in Deutschland nicht mehr verfügbar, wird in den Vereinigten Staaten jedoch noch verwendet. Er hat als zusätzliche unerwünschte Wirkung gelegentlich Fieber, so dass er nicht in Deutschland nicht gerne eingesetzt wurde, obwohl er ebenfalls sehr effektiv ist.

Pauluskiewicz : Bin in ganz enger Kontrolle und fühle mich gut betreut. Es wird auch immer mein Blut sorgfältig untersucht, besonders seit sich die Werte verändern. Manchmal bin ich ganz weit unten mit den Ganoluzyten. Dann geht das aber von selbst wieder ein bißchen nach oben und dann wieder nach unten. Am schlechtesten war es nach der 3. Chemo, da war ich bei 1400. Da sagten die Ärzte da sei noch kein Handlungsbedarf. Ab welchen Werten ist Handlungsbedarf?

PROF. LINK: Handlungsbedarf besteht, wenn das Risiko einer längerdauernden Neutropenie besteht und dadurch das Infektionsrisiko erhöht wird. Ein weiterer Handlungsbedarf kann entstehen, wenn durch die Neutropenie die Abfolge der Chemotherapiezyklen nicht adäquat erfolgen kann. Ein Abfall der Granulozyten nur für ein bis zwei Tage ist in der Regel unproblematisch. Die Onkologen haben Tabellen mit den Chemotherapieschemata, aus denen sie ablesen können, wie stark das Risiko einer fieberhaften Infektion ist. Danach können die Ärzte entscheiden, ob eine Prophylaxe mit G-CSF erforderlich ist. Diese Tabellen entstammen den internationalen Leitlinien der großen onkologischen Fachgesellschaften in Europa, den USA und in Deutschland.

Lu:Gräb : Eigentlich wollte ich mir schon seit längerem meine Mandeln rausnehmen lassen, aber weil das als Erwachsener unangenehm sein soll, habe ich es immer verschoben. Das rächt sich jetzt, denn inzwischen habe ich eine viel schlimmere Krankheit nämlich Prostatakrebs, der mit Chemotherapie behandelt wird. Stimmt es, dass man bei einer Mandelentzündung sehr viel mehr neutro. Garnus braucht, damit die Entzündung zurückgehen kann? Was ist jetzt das Beste. Der Angelina-Weg - Mandeln raus zur Vorbeugung? Ich ärgere mich unendlich über mich selbst, dass ich durch eigene Nachlässigkeit die Situation zusätzlich verschlimmert habe.

PROF. LINK: Die Entfernung der Mandeln ist nur dann sinnvoll, wenn häufiger bakterielle Mandelentzündungen vorliegen. Dieser Eingriff ist in der Regel bei Erwachsenen etwas anstrengender als bei Kindern oder Jugendlichen, wird heute aber nicht mehr prophylaktisch durchgeführt. Wenn Sie also keine gehäuften Infektionen haben, sollten Sie Ihre Mandeln nicht entfernen lassen. Am besten kann Sie auch ein Hals-Nasen-Ohren-Arzt deswegen beraten.

Aue3 : Nach der Operation (Darmkrebs) war es mein wichtigstes Ziel schnell wieder in den Beruf zurück zu gehen. Das gab mir ein Gefühl von Normalität. Habe ich auch geschafft trotz Bestrahlung, trotz Chemo. Nicht einkalkulieret, war dass mich der Verlust meines normalen Immunsystems völlig aus der Bahn wirft. Bin dadurch auch mental kaputt und arbeitsunfähig. Ich will dagegen angehen. Schade ich mir damit, oder macht mich das stärker in der Krankheit?

PROF. LINK: Eine Strahlen- und Chemotherapie bei Darmkrebs ist nicht in der Lage, das Immunsystem zu zerstören. Eine Beeinträchtigung des Immunsystems geschieht im Rahmen der Chemotherapie, aber nur im akzeptablen Rahmen. Längerfristige Beeinträchtigungen des Immunsystems sind irrelevant und führen nicht zu einer erhöhten Infektionsneigung. Da dieser angenommene Immundefekt nicht existiert, gibt es keinen Grund, etwas zu unternehmen. Anderslautende Aussagen von unseriösen Beratern können Sie getrost ignorieren.

Kerstin : Meine Mama hat während der Chemotherapie ganz niedrige Granulozyten. Daraufhin wurde und wird sie dagegen behandelt. Mit Erfolg. Deshalb will sie jetzt diese Medikation aufgeben, weil sie den ganz starken Wunsch hat, weniger Chemie in ihren Körper zu lassen. Wie lange hält der Erfolg an, gibt es darüber Erkenntnisse?

PROF. LINK: Die Stimulation der Granulozyten nach der Chemotherapie gelingt nur für eine bestimmte Zeit, solange die Medikamente wirksam sind, z. B. mit einem Präparat das täglich gegeben wird oder einem Medikament das langwirksam gegeben wird. Dieser Effekt hält dann meistens nicht länger als 14 Tage an. Das bedeutet, in der Regel muss diese Therapie nach jeder Chemotherapie, die ein Risiko der Infektion in der Neutropenie nach sich zieht, wiederholt werden. Das weiß man aus vielen klinischen Studien, so dass man sich auf diese Erfahrung verlassen kann.

Speedy : Was ich bei all dem nicht verstehe ist, warum eine Chemotherapie gezielt einen Mangel an Abwehrzellen auslöst und dass dieser Mangel so gewaltig sein soll, dass daraus sogar eine rundum Infektion entstehen kann. Wieso werden ausgerechnet die Abwehrzellen so stark geschwächt?

PROF. LINK: Das hängt damit zusammen, dass die Blutzellen sehr schnell nachwachsen und als reife Zellen nur eine sehr kurze Lebensdauer haben, im Schnitt 7 bis 12 Stunden. Daraus kann man erkennen, dass die Blutbildung kontinuierlich arbeitet und sich dauernd Zellen teilen müssen. Diese sich teilenden Zellen sind sehr empfindlich auf Chemotherapie. Deswegen reagieren das Immunsystem und hier insbesondere die Granulozyten sehr empfindlich auf Chemotherapie.

Ma-Opreman : Tartar ist eine meiner Lieblingsspeisen. Da hat mir der Onkologe gesagt, das solle ich währen der Chemotherapie nicht essen. Er meinte daraus könnten Infektionen entstehen und ich sollte mich davor schützen. Da war ich verblüfft, denn in Tartar ist nur hochwertiges, ganz frisches Fleisch und Zwiebeln, die entzündungshemmend im Darm wirken. Wo liegt das Problem?

PROF. LINK: Zwiebeln mögen zwar gut schmecken, aber töten leider keine Bakterien ab und hier liegt das Problem. Rohes Fleisch kann gefährliche Bakterien, Parasiten und Würmer enthalten, mit dem Ihr geschwächtes Immunsystem nicht fertig wird, so dass Sie eine schwere Infektion erleiden können. Bei Menschen mit nicht geschwächtem Immunsystem, kann dies auch zu einer Infektion führen, jedoch wird das gesunde Immunsystem damit fertig. Ein geschwächtes Immunsystem hat Schwierigkeiten, solche Erreger abzuwehren, so dass sich diese Erreger im Körper stärker ausweiten können und eine schwere und in manchen Fällen auch lebensbedrohliche Infektion auslösen können.

Webber : Habe begriffen, dass man mir bei dieser ganzen Quälerei nur sehr bedingt helfen kann. Denn es kommt relativ wenig im Tumor an von all der Chemie, dafür werden haufenweise gesunde Zellen genauso geschädigt, wie die Krebszellen. Z.B. mein Blut mit starken Auswirkungen auf mein Immunsystem. Es werden die behandlungsbedürftigen Bereiche immer größer statt kleiner. Das nimmt mir den Mut. Bisher bekomme ich gegen eine beginnende Neutropenie nichts. Ab wann ist das sinnvoll, wann unerlässlich? Ich drängele mich keinesfalls zu weiteren Medikamenten!

PROF. LINK: Die Wirksamkeit der Chemotherapie hängt von der Empfindlichkeit der Krebszellen ab, dies ist unabhängig von der Wirkung auf das Immunsystem, das sind zwei völlig unabhängige Bereiche. Die Indikation zur Prophylaxe mit G-CSF besteht immer, wenn das Risiko der fieberhaften Infektion in der Neutropenie nach der Chemotherapie höher als 20 % ist. Wenn das Risiko 10 bis 20 % beträgt, dann sollte G-CSF gegeben werden, wenn der Patient älter als 65 Jahre ist, oder Risikofaktoren wie fortgeschrittene Erkrankung oder zusätzliche andere schwerere Erkrankungen vorliegen.

Adis : Durch eine Neutropenie als Folge von Chemotherapie (Grundkrankheit Darmkerbs) habe ich häufig Entzündungen an der Mundschleimhaut. Das ist sehr unangenehm, zum Teil richtig schmerzhaft. Ich bin dadurch oft sehr schlecht gelaunt zusätzlich dass ich keine Kraft habe. Ich merke meine Familie kann nicht mehr. Ich erbitte sehr herzlich einen Vorschlag von Prof. Link was man machen könnte zur Linderung.

PROF. LINK: Vermutlich erhalten Sie zur Behandlung des Darmkrebses das Medikament 5-FU und weitere andere Präparate. Diese können neben der Blutbildung auch die Schleimhäute angreifen, die aufgrund ihrer raschen Teilung ebenfalls empfindlich auf Chemotherapie sind. Wenn dann zusätzlich noch eine Neutropenie besteht, kann dies zu einer unangenehmen Infektion führen. Allerdings kann es sein, dass diese Probleme auch ohne Neutropenie auftreten. Im Falle der neutropenie-assoziierten Mundschleimhautentzündung empfiehlt sich die Prophylaxe der Neutropenie mit G-CSF nach der Chemotherapie.

Langerfeld : Meine Blutwerte werden seit fast einem Jahr überwacht. Anfangs war ich sehr unruhig, aber es hat sich nicht so viel verändert seither. Es wurde ein Antikörpertest gemacht. Nach der letzten Untersuchung soll jetzt mein Knochenmark untersucht werden. Mein Arzt meint, dann bekommen wir Klarheit über die Knochenmarkstruktur, aber aufregen muss ich mich deshalb nicht. Tu ich aber, und wie. Was genau bedeutet das? Ist die Krankheit am fortschreiten?

PROF. LINK: Ich vermute, Ihr Arzt möchte eine Knochenmarkerkrankung ausschließen und auffälligen Laborbefunden auf den Grund gehen. Weiteres kann ich aus Ihrer Frage nicht entnehmen, so dass ich Ihnen jetzt keinen weiteren Rat geben kann.

PROF. LINK: Ich bedanke mich für die vielen interessanten Fragen und die rege Teilnahme an dieser Sprechstunde. Ihnen allen wünsche ich einen schönen Abend!



Ende der Sprechstunde.


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