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Prostatakrebs - Neue Therapie zugelassen

Dr. med. Joachim Kleeberg
Leitender Oberarzt der Urologischen Klinik
Zusatzbezeichnungen:
Medikamentöse Tumortherapie
Andrologie
Diakonie-Klinikum Stuttgart
Urologische Klinik
Rosenbergstr. 38
70176 Stuttgart

Tel.: 0711/991-2301
Fax: 0711/991-2302
kleeberg@diak-stuttgart.de

 
Zentrumskoordinator des zertifizierten Prostatakarziniomzentrums
am Diakonie-klinikum Stuttgart
 

Schwerpunkte

• Große Tumorchirurgie
• Laparoskopische Operationen
• Laparoskopische Radikale Prostatekomie
• Chemotherapie urologischer Tumoren
• HIFU-Therapie
 
 
 
 
 Prostatakarzinomsprechstunde

• Anmeldung über Sekretariat Telefonnummer 0711/991-2301

PROTOKOLL

Prostatakrebs - Neue Therapie zugelassen

DR. KLEEBERG: Wir beginnen um 19 Uhr.

Strunzi : Es gibt da in der Medizin ja immer so Abkürzungen, für die ich keine Erklärung finde. Es muss einen Unterschied geben zwischen HRCP und CRCP. Leider gelingt es mir nicht, eine verständliche Erklärung zu diesem Unterschied zu finden. Da es sich aber offensichtlich darum dreht, wenn die Hormontherapie nicht mehr richtig wirkt (noch geht es vielleicht eingie Monate bei mir, aber es wird weniger, das sagen die Werte ganz deutlich) und ich dringend danach suche, wie es weitergeht, wäre es eine große Hilfe für mich, wenn Dr. Kleeberg mir da helfen könnte. Vielen Dank.

DR. KLEEBERG: Es gibt einen kleinen Unterschied zwischen dem hormonresistenten Prostatakarzinom und dem kastrationsresistenten Prostatakarzinom. Das hormonresistente Prostatakarzinom bezieht sich auf die Hormontherapie, aber auch bei einer durchgeführten Hormontherapie, die nicht mehr wirkt, sind die Prostatakrebszellen unter Umständen immer noch empfindlich auf spezielle Hormonmanipulationen. Beim kastrationsresistenten Prostatakrebs wirken keine von uns durchgeführten Hormontherapien mehr. Erst dann verwendet man weitere Therapien, die jetzt in den letzten ein bis zwei Jahren hinzugekommen sind.

Schönteich : Es gibt eine ganz große weltweite Studie, die tolle Ergebnisse gebracht hat für ein relativ neues Medikament, wenn die antihormonelle Therapie nicht mehr geht. Was bedeutet das für mich als Patient? Ich möchte daraus so gern Hoffnung schöpfen, dass es für mich weiter geht, aber was belegt die Studie? Dass ich 2 Monate gewinne?

DR. KLEEBERG: Es gibt zwei neue zugelassene Medikamente, die jetzt eingesetzt werden, wenn die antihormonelle Therapie nicht mehr geht. Sie meinen sicherlich Abiraterone, aber auch die neue Chemotherapie Cabazitaxel hat eine gute Wirkung gezeigt, wenn die antihormonelle Therapie nicht mehr wirkt. Abiraterone ist ein Medikament, dass bisher bei uns erst zugelassen ist, wenn die Chemotherapie mit Docetaxel nicht mehr wirkt. Dieses Medikament ist eine völlig neue antihormonelle Therapie, die sozusagen die letzten Hormonrezeptoren des Prostatakrebses herauskitzelt und den Prostatakrebs somit bekämpft. Dieses Medikament hat eine gute Wirksamkeit von durchschnittlich vier Monaten Lebensgewinn in dieser weltweit großen Studie erbracht, bei erträglichen unerwünschten Wirkungen. Es wird ausgesprochen und gut vertragen. Eine weitere Studie läuft derzeit, die es austestet, dass man es bereits vor der Chemotherapie geben kann. Dies ist leider bei uns noch nicht möglich. Die zweite große Studie, die Sie vielleicht meinen, bezieht sich auf Cabazitaxel, das eine gute Wirksamkeit zeigt nach Einsatz der ersten Chemotherapie mit Docetaxel. Auch hier ist eine Lebensverlängerung von drei bis vier Monaten im Durchschnitt möglich. Man sollte nicht von einem Lebensgewinn von zwei bis vier Monaten im Durchschnitt täuschen lassen, im Einzelfall können das durchaus Jahre sein. Wir haben inzwischen einen richtigen Strauß an Möglichkeiten für Patienten mit fortgeschrittenem Prostatakrebs in der Behandlung. Weitere Medikamente werden in den nächsten Monaten und Jahren hinzukommen, so dass man eine lebenswerte Lebensverlängerung erreichen kann.

Bonne : Wie zielgerichtet ist Jevtana wirklich? Kann man das ganz individuelle anpassen? Besteht die Möglichkeit dass so eine Substanz mit einer anderen zusammen verabreicht wird, die sich bei einem Patienten bereits besonders gut bewährt hat?

DR. KLEEBERG: Jevtana ist zielgerichtet für den Einsatz nach der Chemotherapie mit Docetaxel, wenn Docetaxel nicht mehr wirkt. Das erklärt man sich so, dass die Prostatakrebszellen resistent werden gegen das Docetaxel, indem sie das Docetaxel aus der Zelle schnell wieder ausschleusen. Das Jevtana hat einen Hemmer für diese Ausschleusung, so dass es in der Krebszelle verbleibt und erneut wirken kann und die Krebszelle abtöten kann. In den Studien mit Jevtana hat man 25 mg/qm Körperoberfläche alle drei Wochen gegeben. Wenn der Patient dieses schlecht verträgt, kann man die Dosis auch reduzieren, wie die Studien gezeigt haben, auf 20 mg / qm Körperoberfläche. Eine ganz individuelle Anpassung hat bisher keine Studie durchgeführt, so dass eine weitere Reduzierung einem individuellen Heilversuch entspräche. Grundsätzlich gibt man Jevtana immer mit der hormonellen Therapie, der so genannten Drei-Monats-Spritze. Mit weiteren Krebssubstanzen kann man Jevtana nicht kombinieren.

Quade : Wenn der Prostatakrebs schon Metastasen gebildet hat können die dann auch in den Kopf gehen? Mein Vater hatte nie Kopfschmerzen, aber seit er sich mit dieser Krankheit herumschlägt hat er regelmäßig heftige Kopfschmerzen. Ist das evtl. eine Folge der vielen Medikamente? Gegenwärtig antihormonelle Therapie, aber die Wirksamkeit ist nachweislich nicht mehr in vollem Umfang da.

DR. KLEEBERG: Der Prostatakrebs geht erst im Endstadium in andere Organe, wie Gehirn und Leber. Der Prostatakrebs macht per se keine Kopfschmerzen. Die Kopfschmerzen bei Ihrem Vater schätze ich eher als eine Folge der vielen Medikamente ein. Wenn unter der antihormonellen Therapie der PSA-Wert wieder steigt, muss man eventuell hier eingreifen und die antihormonelle Therapie umstellen. Wenn nach Umstellung weiterhin keine Wirksamkeit mehr erkennbar ist, folgt in der Regel die Chemotherapie mit Docetaxel.

Kohlwey : Ist es möglich, dass der Prostatakrebs schon Metastasen im Körper gebildet hat, obwohl es nachweislich bei der Operation keinen Lymphknotenbefall gab? Wir haben uns bisher darauf verlassen und sehr sicher gefühlt. Wie sicher ist die Aussage Kein Lymphkn-befall, das sieht gut aus?

DR. KLEEBERG: Üblicherweise setzt der Prostatakrebs erst Metastasen in den örtlichen Lymphknoten, die bei der Operation oft entfernt werden. Leider ist dies keine Garantie, dass nicht doch schon Knochenmetastasen vorliegen, die bisher nicht entdeckt worden waren. Hier gibt uns der PSA-Wert weitere Hinweise. Wenn dieser PSA-Wert über 20 war vor der Operation, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass doch schon Knochenmetastasen vorliegen könnten. Ferner gibt es selten atypische Lymphknoten im kleinen Becken neben dem Mastdarm, die bei der Standardoperation oft unentdeckt bleiben und so einen PSA-Anstieg nach der Operation auslösen können.

Rahm : Stimmt es, dass eine Monotherapie weniger dramatische Auswirkungen auf das Sexualleben hat bei gleichem Erfolg?

DR. KLEEBERG: Vermutlich meinen Sie die Monotherapie mit Bicalutamid Tabletten, die in der Dosierung von 150 mg als Monotherapie beim Prostatakrebs zugelassen sind. Diese blockieren vor allen Dingen den Krebsrezeptor direkt an der Prostatakrebszelle und drosseln nicht das Testosteron auf Null, so dass das Sexualleben unter Bicalutamid normalerweise ungestört ist. Die normale antihormonelle Therapie mit der so genannten Drei-Monats-Spritze reduziert das Testosteron in den Null-Bereich, so dass der Patient eine Impotenz bekommt. Studien haben gezeigt, dass das Bicalutamid in der Dosierung von 150 mg bei geringer Tumorlast wirksam ist. Bei hoher Tumorlast, also vielen Metastasen und hohem PSA, sollte man sich überlegen, ob man Bicalutamid als Monotherapie einsetzt. Wir setzen Bicalutamid gerne bei jüngeren Patienten ein, gerade um das Sexualleben nicht zu gefährden.

Malota : Diagnose: mässig differenziertes Adenocarcinom der Prostata, Gleason-Score-Klassifizierung 7. Tumorschwerpunkt linke Prostatahälfte in der Leiste kapselüberschreitend, Befund einer Lymphangiosis carcinomatose. Welche Behandlung ist für meinen Vater jetzt die richtige? Er ist 68 Jahre alt und sonst rundum gesund und sportlich.

DR. KLEEBERG: Wenn Ihr Vater sonst rundum gesund und biologisch jünger als 68 Jahre alt ist, empfehlen wir in diesem Stadium trotz Kapselüberschreitung eine Radikaloperation, da die Langzeitergebnisse insgesamt besser sind als bei der Bestrahlung. Natürlich kommt die Bestrahlung für Ihren Vater ebenfalls in Frage, man sollte sich aber überlegen, dass er vermutlich noch eine Lebenserwartung von 15 bis 20 Jahren hat. Wenn die Bestrahlung nicht anspricht, hat man kaum noch eine Chance, den Krebs heraus zu operieren. Umgekehrt, wenn die Operation nach einigen Jahren ein PSA-Rezidiv zeigt, kann man Ihren Vater immer noch bestrahlen und erneut eine Heilung erreichen.

Oberpfalz : Ich bin nach der Operation nie wieder komplett kontinent geworden. Wie lange nachher ist eine Korrektur-Op noch möglich/sinnvoll?

DR. KLEEBERG: Eine mögliche Inkontinenz nach Radikaloperation in unterschiedlichen Ausprägungen ist leider eine mögliche unerwünschte Wirkung. Manchmal muss man bis zu einem Jahr warten, bis der Endzustand erreicht ist. Eine Korrekturoperation ist danach jederzeit möglich und auch sinnvoll. Neben der Beckenbodengymnastik gibt es heutzutage Medikamente, z. B. Yentreve, das normalerweise bei der Belastungsinkontinenz der Frau eingesetzt wird. Wir haben gute Erfahrungen mit diesem Medikament auch bei Harninkontinenz bei Radikaloperation auch beim Mann gemacht. Leider wurde dieses Medikament für den Mann nicht zugelassen und ist daher ein so genannter Off-Label-Use. D. h. der Patient muss dieses Medikament leider selbst bezahlen. Aber auch für den Mann gibt es eine so genannte Schlingenoperation mit einem Band, ähnlich wie bei der Frau, mit sehr gutem Erfolg gegen die Inkontinenz. Bei schwerer Inkontinenz können wir sogar einen künstlichen Schließmuskel einbauen. D. h. Ihnen kann geholfen werden.

Rentner : Wie kann der PSA Wert ansteigen, wenn ich doch gar keine Prostata mehr habe? Die ist mir entfernt worden, wegen einer gutartigen, aber erheblichen Vergrößerung. Da hatte mein Urologe gleich gesagt, am besten weg damit, dann gibt es damit keine Probleme mehr. Das habe ich geglaubt und bin schockiert, dass sich da offenbar doch noch was bilden kann.

DR. KLEEBERG: Bei der gutartigen Prostatavergrößerung entfernt man in aller Regel nicht die gesamte Prostata, sondern nur das vergrößerte Innendrüsengewebe. Dies muss man sich vorstellen, wie bei einer Orange, wobei man das Fruchtfleisch entfernt und die Schale stehen lässt. Durch diese Höhle kann der Mann wieder gut Wasser lassen. Die Schale ist die eigentlich Prostata und produziert immer noch PSA. In dieser Schale wird auch in der Regel der Prostatakrebs gebildet, d. h. der PSA-Wert kann trotz Prostataoperation wieder ansteigen. Bei einer gutartigen Prostatavergrößerung entfernt man eigentlich nie die gesamte Prostata, wie bei der Radikaloperation.

Behrendt : Bei mir gab es in dieser Reihenfolge PSA-Erhöhung, Diagnose Prostatacarzinom ohne Lymphknotenbefall, Chemo, Docetaxel und jetzt soll es Jevtana mit Prednison sein. Wie lange hält diese Wirkung dann an. Kommt noch etwas danach?

DR. KLEEBERG: Unsere Erfahrung ist, dass Jevtana mit Prednison oft ein gutes Ansprechen nach Docetaxel hat. In der Studie waren es durchschnittlich vier Monate mehr, aber im Einzelfall können es durchaus mehr Monate sein. Auch bei Jevtana gibt man sechs bis zehn Zyklen, ähnlich wie bei Docetaxel. Bei gutem Ansprechen macht man dann eine Pause und bei erneutem PSA-Anstieg kann man Jevtana wieder einsetzen. Aber, wenn Abiraterone bisher nicht eingesetzt wurde, gibt es für Sie nach Jevtana auch diese Substanz, um den Krebs zurück zu drängen. Und vermutlich dieses Jahr noch werden weitere Substanzen hinzukommen, die man in diesem Stadium einsetzen kann.

Wünsche : Wenn die Antihormontherapie nicht mehr wirkt und ich mit Jevtana weitermache (Empfehlung meines Urologen) ist dann evtl. sogar wieder ein gelegentliches Sexualleben möglich?

DR. KLEEBERG: Leider wird in allen Studien mit Jevtana oder Docetaxel die Antihormon-Therapie fortgeführt. Es gibt keine Studien, die dies bei der Chemotherapie abgesetzt haben. Dies ist auch nicht sinnvoll, da hormonsensible Krebszellen sonst wieder anfangen zu wachsen. Nach langjähriger Antihormontherapie braucht es sehr lange, bis das Testosteron wieder ansteigt, so dass ich allein deswegen Ihnen keine große Hoffnung machen kann. Aber es gibt andere Möglichkeiten für ein gelegentliches Sexualleben, wie eine Spritze in den Penis oder ein Harnröhrenstäbchen. Auch eine Vakuum-Pumpe kann man benutzen.

Schwerdtle : 72 Jahre, 34 Stanzen, Gleason 5. Wie eilig ist die OP? Damit das Op-Feld übersichtlicher ist sollen einige Wochen vergehen. Breitet sich die Krankheit sich nicht in dieser Zeit in meinem Körper aus?

DR. KLEEBERG: Es gibt zwei Extreme bei der Krebstherapie. Das eine Extrem ist der Hodenkrebs beim jungen Mann. Wenn so ein Patient zu uns in die Klinik kommt, operieren wir ihn innerhalb von 24 Stunden. Das andere Extrem ist der Prostatakrebs, der extrem langsam wächst. Ferner gibt es Prostatakrebse, die praktisch gar nicht weitermachen, so dass der Patient mit seinem Krebs stirb und nicht an seinem Krebs. In Ihrem Fall ist die Operation nicht eilig, da auch die Aggressivität der Krebszellen mit Gleason 5 sehr gering ist. Sie können durchaus einige Wochen warten bis zur geplanten Operation. Ein Ausbreiten der Krankheit in dieser Zeit ist nicht zu befürchten. Man hat Studien gemacht, die gezeigt haben, dass wenn zwischen dem Zeitpunkt der Diagnose und der definitiven Therapie weniger als drei Monate liegen, sich nichts an der Prognose ändert.

Linausius : Ersetzt ein MRT eine Biopsie?

DR. KLEEBERG: Nein. Beim Prostatakrebs fordern wir immer eine histologische Sicherung. Es gibt bisher kein bildgebendes Verfahren, das mir sicher einen Krebs nachweist oder ausschließt.

Erich : Ich hatte eine sogen. chemische Kastration. Hat auch gut geholfen, von den Begleiterscheinungen will ich lieber nicht reden. Aber jetzt ist die Wirkung offenbar vorbei. Das wurde mir angekündigt, aber als es dann so war, war es doch unerwartet, weil ich das eigentlich verdrängt hatte. Es gibt jetzt verschiedene Möglichkeiten, das weiß ich wohl. Würde gern von unabhängiger Seite von Dr. KIeeberg Vorschläge oder eine Perspektive erfahren.

DR. KLEEBERG: Mit der chemischen Kastration meinen Sie sicher die antihormonelle Therapie, die normalerweise mit der Drei-Monats-Spritze durchgeführt wird. Sie wirkt eine Zeit lang, aber eines Tages sind die hormonresistenten Zellen in der Überhand und der PSA steigt wieder. Dann führen wir weitere hormonelle Manipulationen durch mit Hormontabletten, z. B. Bicalutamid. Falls dies nicht mehr wirkt, wird die Hormontablette Bicalutamid wieder abgesetzt also so genannte Entzugstherapie. Danach kommt die Chemotherapie mit Docetaxel. Danach kommt heutzutage die Abiraterone-Therapie und danach die Chemotherapie mit Jevtana. Und es sind weitere Therapien in der Pipeline in diesem und im nächsten Jahr uns zur Verfügung stehen. Durch diese vielen Therapien können wir heutzutage das Leben der Prostatakrebspatienten signifikant lebenswert verlängern.

Bärchen : Haben alle Tumorzellen , wie heißt das so schön, Andockstellen auf der Oberfläche?

DR. KLEEBERG: Wenn man einen Prostatakrebs neu entdeckt, haben normalerweise alle Tumorzellen so genannte Androgenrezeptoren auf der Zelloberfläche, die wir beeinflussen können. D. h. ein neu entdeckter fortgeschrittener Prostatakrebs spricht praktisch immer auf eine antihormonelle Therapie an. Es ist erstaunlich, wenn man dies histologisch untersucht, dass Prostatakrebszellen übersät sind mit Androgenrezeptoren, während normale gutartige Prostatazellen deutlich weniger Androgrenrezeptoren haben. Leider entwickeln diese Prostatakrebszellen mit der Zeit eine Resistenz gegen unsere antihormonelle Therapie, so dass immer mehr die restistenten Zellen Überhand nehmen und weiter wachsen.

MODERATOR: Der Experte macht eine kurze Pause. Wir setzen die Beantwortung Ihrer Fragen in wenigen Minuten fort.

Schlomann : Es geht um atypische Zellen. Bis vor kurzem wusste ich noch nichts von diesen Zellen. Jetzt bin ich beunruhig, seit ich davon Kenntnis haben. Wann muss ich mir sorgen machen, dass atypische Zellen sich in die Lymphknoten einnisten und mir dort ein großes Problem erwächst?

DR. KLEEBERG: In der Prostata gibt es manchmal Vorstufen von Prostatakrebszellen, dann spricht man von atypischen Zellen. Aus diesen Zellen kann sich ein Krebs entwickeln. Wenn man in einer Biopsie solche atypischen Zellen findet, erfordert das kurzfristige Überwachungen und erneute Biopsien. Atypische Zellen sind noch kein Prostatakrebs und können sich auch noch nicht in Lymphknoten einnisten.

Heidecke : Ist Prostatakrebs wirklich heilbar? Ich bin da inzwischen ganz unsicher, denn mein Bruder hat jetzt nach 6 Jahren nachweißlich einen Rückfall ? keine Neuerkrankung - und es hieß bei ihm auch, dass er geheilt sei. Was genau heißt QUOT1Sie sind geheiltQUOT2, wenn ein Arzt das sagt?

DR. KLEEBERG: Prostatakrebs ist wirklich heilbar. Leider gibt es einen gewissen Prozentsatz an Patienten, bei denen der Prostatakrebs auch nach Jahren oder gar Jahrzehnten wiederkommt. Daher gibt es leider keine Garantie, dass Sie geheilt sind, sondern nur Wahrscheinlichkeiten. In ca. 11 bis 13 % aller radikal operierten Patienten oder bestrahlten Patienten, bei denen man annahm, dass sie geheilt sind, kann es zu einem Rückfall auch nach Jahren kommen. Und man kann dies auch nicht vorhersagen.

Schwitzer : Was ist eine minimale Androgenblockade? Klingt für mich gut, weil vielleicht doch noch was geht, aber hilft das auch?

DR. KLEEBERG: Es gibt eine Androgenblockade, die dazu führt, dass der Testosteronspiegel auf Null sinkt. Ferner gibt es eine maximale Androgenblockade, bei der man sowohl die so genannte Drei-Monats-Spritze als auch die Tabletten Bicalutamid gibt, um wirklich alle Androgenrezeptoren beim Prostatakrebs zu blockieren. Ferner gibt es die Monotherapie mit Bicalutamid-Tabletten 150 mg, die man vielleicht als minimale Androgenblockade bezeichnen könnte, ansonsten ist mir dieser Begriff nicht bekannt. Gerade bei der Monotherapie mit Bicalutamid 150 mg wird oft das Sexualleben nicht gestört und bleibt erhalten.

Wrobe : Wie gut sind Marker die für Prostatakrebs eingesetzt werden? Wie sicher die Prognose, die sich von den Markern ableiten lässt? Wie hoch die Versagerquote?

DR. KLEEBERG: Der Haupttumormarker für Prostatakrebs ist PSA. Es gibt kaum einen anderen Krebs, bei dem es so einen guten Tumormarker gibt. Allerdings hat der PSA-Wert auch seine Unzulänglichkeiten. Selten gibt es PSA-negative Prostatakrebse, allerdings unter 5 % aller Prostatakrebse. Aus der Höhe des PSA-Wertes können wir einiges ableiten. Wir haben eine magische Grenze von 10. Unter 10 gehen wir davon aus, dass der Krebs noch auf das Organ beschränkt ist. Wenn der PSA über 20 ist, besteht die große Gefahr, dass Lymphknoten und auch Knochenmetastasen schon vorliegen. Ein weiterer Marker ist der Gleason-Score, der die Aggressivität des Prostatakrebses beschreibt. Aus verschiedenen Tabellen, den so genannten Partin-Tabellen, können wir die Prognose des Patienten anhand dieser Marker ablesen. Diese Partin-Tabellen sind validiert und werden von unseren Leitlinien empfohlen.

Escherment : Die PSA-Werte steigen bei mir rasant, trotz Hormontherapie. Ist das ein Hinweis, dass diese Behandlung nicht mehr funktioniert? Welche Diagnostik ist erforderlich, um das festzustellen. Geht es mit Strahlen oder Medikamenten weiter?

DR. KLEEBERG: Ein stark steigender PSA-Wert trotz Hormontherapie ist ein eindeutiges Anzeichen, dass diese Hormontherapie nicht mehr wirkt. Hier ist eine sekundäre Hormonmanipulation notwendig mit z. B. Bicalutamid-Tabletten. Als Diagnostik bei Knochenmetastasen empfiehlt sich das Knochenszintigramm. Wenn der Prostatakrebs das Organ verlassen hat und im Knochen sitzt, kommt eine Strahlentherapie in der Regel nicht mehr in Frage, außer es besteht eine Gefährdung durch Knochenbrüche.

Großclaus : Inzwischen gibt es wohl mehrere Medikamente, die sich einer antihormonellen Behandlung anschließen. Eins davon heißt Zytiga. Gibt es da einen Unterschied in der Wirkweise zu Jevtana? Wie vergleichen sich die Studienergebnisse, oder gibt es inzwischen ausreichende Rückmeldungen zu Zytiga aus der Anwendung im Gebrauch an ganz gewöhnlichen Patienten?

DR. KLEEBERG: Nach einer antihormonellen Behandlung folgt bis jetzt eine Taxotere Chemotherapie. Wenn die Taxotere Chemotherapie nicht mehr wirkt, kann man heutzutage sowohl Zytiga (Abiraterone) als auch Jevtana einsetzen. Beides wurde in den Studien nach Docetaxel Chemotherapie getestet und bringt eine mehrmonatige durchschnittliche Lebensverlängerung. Zytiga ist eine andere Art, eine neue Art, der antihormonellen Behandlung und hat weniger unerwünschte Wirkungen als Jevtana. Mitunter ist die Wirksamkeit aber nicht so gut, wie bei Jevtana. Zytiga wirkt wieder im Bereich der Hormonrezeptoren, Jevtana wirkt in der Krebszelle selbst als Chemotherapie, um diese Krebszellen abzutöten. Welches von beiden Medikamenten man nach Docetaxel einsetzt, muss man gemeinsam mit seinem behandelnden Urologen entscheiden, denn beide sind in diesem Stadium zugelassen. Man kann zuerst Zytiga und dann Jevtana einsetzen oder auch umgekehrt.

GerdtR : Vater ist 66 Jahre alt hat vor 10 Tagen die Diagnose Prostatakrebs bekommen - Gleason 4+4 und PSA von 14. Mein Vater ist körperlich leistungsfähig und ohne jegliche Beschwerden. War ein reiner Zufallsbefund nach Routine-PSA-Untersuchung. Eine mehrfache Stanzbiopsie gab dann den Beleg. Es stellt sich die Frage von Bestrahlung, aber auch eine radikale OP zur Sicherheit nicht ausgeschlossen. Das ist eine schwere Entscheidung, denn mein Vater ist ja noch nicht alt. Eine Empfehlung des Experten wäre sehr hilfreich.

DR. KLEEBERG: Aufgrund der vorliegenden Befunde muss man Ihren Vater in die High-Risk-Gruppe einteilen. Hier kommt die Bestrahlung in Frage, bei gutem Gesundheitszustand hat er aber statistisch eine Lebenserwartung von mindestens 15 bis 20 Jahren noch. Daher muss dringend auch eine Radikaloperation überlegt werden. Unter dem Wissen, dass bei der Radikaloperation eventuell ein fortgeschritteneres Stadium gefunden wird und später auch noch eine Nachbestrahlung notwendig sein könnte. Eins muss man auf jeden Fall bedenken, dass wenn ich jetzt bestrahle und in einigen Jahren der PSA-Wert wieder ansteigt, eine Radikaloperation praktisch nicht mehr möglich ist, wenn er jetzt aber radikal operiert wird und alles gut geht, in ein paar Jahren aber wieder ein PSA-Rezidiv bekommt, er noch bestrahlt werden kann, um wieder eine Heilung zu erreichen. Hier würde ich eher zu einer Radikaloperation wie zu einer Bestrahlung raten.

Jan : Sollten bei einem PSA kurz über 2 bei einem 41jährigen noch weiter Untersuchungen vorgenommen werden? Hängt das vom Alter ab, würde der Wert niemanden alarmieren, wenn man 70 wäre. Ich habe Angst.

DR. KLEEBERG: Ein PSA-Wert etwas über 2 bei einem 41-Jährigen ist eindeutig alarmierend. Der PSA-Wert ist auch altersabhängig. Bei einem 41-Jährigen würde ich einen PSA-Wert unter 1 erwarten. Natürlich kann es andere Gründe für den höheren PSA-Wert geben, wie eine Prostataentzündung. Aber weitere Untersuchungen sollten unbedingt vorgenommen werden. Mindestens eine kurzfristige PSA-Kontrolle. Bei weiter erhöhtem PSA-Wert über 2 muss eine Gewebeprobe erwogen werden, um einen Prostatakrebs im Anfangsstadium rechtzeitig auszuschließen.

Coog : Über Studien hinaus ist Jevtana ja jetzt schon einige Zeit in der Anwendung und dadurch gibt es sicherlich noch viele weitere Merkmale, die das Medikament auszeichnen, oder auch Hinweise auf Nebenwirkungen, oder negative Eigenschaften geben. Weiß man auch, wann und warum Jevtana bei einigen Patienten weniger gut wirkt als bei anderen? Wie werden solche Erkenntnisse nachverfolgt bei einem neu zugelassenen Therapiekonzept?

DR. KLEEBERG: In der Zulassungsstudie von Jevtana hat man zum Teil relativ ausgeprägte unerwünschte Wirkungen des Medikaments gesehen, die sich im Real Life so nicht bestätigt haben. Wir haben deutlich weniger und weniger schwere unerwünschte Wirkungen im täglichen Einsatz gesehen, wie in der Zulassungsstudie. Dennoch ist dies ein Medikament, das während der Anwendung sehr genau beobachtet werden muss und auch weiterhin beobachtet wird in den so genannten Nachbeobachtungsstudien. Diese Nachbeobachtungsstudien wurden auch veröffentlicht. Warum Jevtana bei einigen Patienten weniger gut wirkt als bei anderen, ist nicht sicher bekannt, hängt unter Umständen mit der Tumorbiologie selbst zusammen. Die Firma selbst sammelt ständig weitere Erkenntnisse zu diesem Medikament und gibt diese Erkenntnisse auch an uns Urologen, die wir dieses Medikament einsetzen, weiter. Unsere Erfahrung mit diesem Medikament nimmt täglich zu. Völlig neue unerwünschte Wirkungen oder negative Eigenschaften, die bisher nicht bekannt waren, sind bisher nicht aufgetreten.

Leier : Warum wird ein PSA-Anstieg von 0,1 auf 0,2 genauso schwerwiegend eingestuft, wie von 10 auf 20? Ich fühlte mich ziemlich sicher mit dem geringen Anstieg, aber mein Urologe sagte, das ist in jedem Fall ein 100prozentiger Anstieg, was ja stimmt, aber die Verhältnismässigkeit erscheint mir geringer.

DR. KLEEBERG: Vermutlich beziehen Sie sich auf einen PSA-Anstieg nach Radikaloperation. Hier ist ein Anstieg von 0,1 auf 0,2 schwerwiegend, da man ab 0,2 vom so genannten PSA-Rezidiv spricht. Das bedeutet, dass man eventuell eine weitere Therapie einleiten muss, z. B. eine örtliche Bestrahlung des Tumorbettes nach Radikaloperation. Eine örtliche Bestrahlung gibt einem die Chance auf eine erneute Heilung, wenn man hier noch im Anfangsstadium bestrahlt. Sollte der PSA-Wert bis 1 oder höher steigen, besteht die hohe Gefahr, dass der Krebs das Tumorbett verlassen hat und die örtliche Bestrahlung keine Heilung mehr erreicht.

Leussler : Es gibt so viele unterschiedliche Formulierungen: wait and see, active surveillance, watchful waiting. Ist das alles das gleiche nur unterschiedlich ausgedrückt?

DR. KLEEBERG: Der Unterschied zwischen active surveillance und wait and see ist wie Tag und Nacht. Active surveillance bedeutet eine kurative Therapie mit nur aufgeschobener Behandlung unter strenger Beobachtung mit regelmäßigen PSA-Kontrollen und regelmäßigen Gewebeproben aus der Prostata alle 12 bis 18 Monate. Sollte der PSA-Wert ansteigen oder bei der Gewebeprobe sich der Gleason verändern, also verschlechtern, kann man dann rechtzeitig eine definitive Therapie einleiten und den Patienten heilen. Noch einmal, active surveillance ist eine kurative Therapie. Wait and see und watchfull waiting ist eine palliative Therapie, bedeutet, dass ich den Patienten nur begleite und den Krebs eventuell zurückdränge, bedeutet aber keine Heilung.

Lindhout : Kann man von dem PSA-Wert ableiten, ob ein Krebs lokal oder im Körper verteilt ist?

DR. KLEEBERG: In der Regel ja. Wir haben eine magische Grenze von 10 beim PSA-Wert. Liegt der PSA-Wert unter 10, gehen wir mit einer 95 bis 97 %igen Wahrscheinlichkeit davon aus, dass der Krebs noch im Organ verkapselt ist. Bei einem PSA-Wert von 10 und 20 ist in der Regel eine Organüberschreitung oder gar ein örtlicher Lymphdrüsenbefall möglich bis wahrscheinlich. Bei einem PSA-Wert über 20 steigt deutlich die Wahrscheinlichkeit für einen Knochenbefall des Prostatakrebses. Allerdings spielt auch die Aggressivität der Prostatakrebszellen, die der Pathologe mit dem so genannten Gleason-Score bestimmt, eine Rolle.

rubach406 : Kann Jevtana mein Leben bei guter Lebensqualität um Wochen verlängern? Oder sogar um Monat? Oder Jahre? Kann Dr. Kleeberg darauf überhaupt antworten?

DR. KLEEBERG: Unsere persönliche Erfahrung ist, dass Jevtana mitunter besser vertragen wird als Docetaxel. Die Lebensqualität kann durchaus gut sein unter Jevtana. Allerdings erfordert die Gabe von Jevtana eine gute und vorausschauende Begleitung des Patienten wegen der unerwünschten Wirkungen. Statistisch verlängert Jevtana das Leben um mehrere Monate, dies kann im Einzelfall auch ein Jahr und länger sein.

Coerdts : Ist es verantwortbar eine antihormonelle Therapie zu unterbrechen, wenn der PSA-Wert wieder unten ist, bis er wieder steigt? Oder hat dann der Krebs schon gestreut? Gibt es dazu absolut sichere Studien?

DR. KLEEBERG: Es gibt Studien zur intermittierenden antihormonellen Therapie. Es ist durchaus verantwortbar, eine antihormonelle Therapie zu unterbrechen, wenn der PSA-Wert wieder unten ist, unsere Leitlinien lassen dies zu. Die Studien haben gezeigt, dass diese Therapie nicht schlechter ist wie eine kontinuierliche hormonelle Therapie. Allerdings fehlen leider Langzeitstudien. Dem Patienten bringt eine intermittierende antihormonelle Therapie unter Umständen eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität. Die Studien haben gezeigt, dass der Krebs in der Zwischenzeit nicht streut, wir haben zum Glück den PSA-Wert als gutes Steuerungsinstrument.

Rehagen : Die Antihormontherapie verliert ihre Wirkung. Das geht ja nicht von hier auf jetzt, sondern das kommt so schleichend. Mein Urologe sagt, da haben wir dann immer noch unterschiedliche Möglichkeiten und konkret zu werden. Ich versuche mich vorzubereiten und überall zu informieren und deshalb meine Frage, was kommt danach? Habe die ganze Behandlungspalette hinter mir.

DR. KLEEBERG: Sie haben vielleicht einige Behandlungen hinter sich, die Antihormon-Therapie verliert derzeit ihre Wirkung. Wir sind aber heutzutage glücklicherweise in der Lage, Ihnen weitere gute Therapien anbieten zu können, die das Leben lebenswert verlängern können. Wenn die reine Hormontherapie ausgeschöpft ist, haben wir verschiedene Chemotherapien und neu zugelassen Aviraterone als eine völlig anders geartete Hormontherapie. Weitere Therapien beim fortgeschrittenen Prostatakrebs sind kurz vor der Zulassung. Wir Urologen sind in Zukunft mehr denn je gefordert, Ihnen individuell die bestmögliche Therapie zukommen zu lassen. Vermutlich wird für Sie persönlich die Reihenfolge Cabazitaxel - Abiraterone - Jevtana sein, aber vielleicht erleben Sie auch die weiteren modernen Therapien, die noch kommen.

DR. KLEEBERG: Ich danke allen Usern dieser Sprechstunde für die vielen interessanten Fragen und wünsche Ihnen allen einen schönen Abend!



Ende der Sprechstunde.


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