Darmkrebs – Welche Behandlungsmöglichkeiten in frühem und fortgeschrittenem Stadium?

Dr. med. Albrecht Kretzschmar          
Oberarzt
Klinikum St. Georg in Leipzig   
und MVZ Mitte in Leipzig
internistische Onkologie und Hämatologie im  Klinikum St. Georg    
Delitzscher Straße 141
04129 Leipzig
 
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albrecht.kretzschmar@sanktgeorg.de
 
und
 
MVZ Mitte; Onkologie und Palliativmedizin
Johannisplatz 1 
04103 Leipzig
 
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Schwerpunkte
 
Behandlung von soliden Tumoren
Darmkrebs andere gastrointestinale Tumoren

PROTOKOLL

Darmkrebs – Welche Behandlungsmöglichkeiten in frühem und fortgeschrittenem Stadium?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wir beginnen um 19 Uhr.

Schulz18: Alle zwei Jahre mache ich so einen Test, wo es um verstecktes Blut im Darm geht. Das zahlt die Kasse nicht und ich bezahle das aus meiner eigenen Tasche. Jetzt habe ich einen Arzt kennengelernt, der mir gesagt hat, das sei alles Quatsch und so gut wie kein Schutz. Die einzig vernünftige Früherkennung sei eine Darmspiegelung. Stimmt das?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Die von Ihnen angesprochene Stuhluntersuchung kann verborgenes Blut im Stuhl nachweisen. Sie ist nicht so empfindlich, wie eine Darmspiegelung, da es auch Polypen, Vorstufen von Krebs oder Tumoren gibt, die nicht bluten und bei denen dieser Test nicht anschlagen würde. Tatsächlich ist die Vorsorgekoloskopie das beste Verfahren. Der Test auf verborgenes Blut im Stuhl ist jedoch besser, als gar keine Vorsorgeuntersuchung.

Ole_Pingel: Wie lange dauert es, bis aus Darmpolypen Krebs wird?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Hierfür gibt es keine strenge Regel. Der größte Teil der Darmkrebserkrankungen folgt der klassischen Sequenz: Kleiner Polyp, größerer Polyp, beginnende Entartung, frühes Karzinom. Für diese Entwicklung vergehen tatsächlich meist mehrere Jahre. Deshalb sagt man auch, dass wenn bei einer Darmspiegelung keine oder nur wenige frühe Polypen entdeckt werden, die nächste Kontrollkoloskopie in fünf Jahren ausreichend ist. Leider gibt es auch eine andere Form von Darmkrebs, bei der die Entwicklung wesentlich schneller geht, so dass innerhalb von ein bis zwei Jahren aus einem kleinen Polyp ein Karzinom entstehen kann. Trotzdem ist für die Allgemeinbevölkerung, ohne eine bestimmte Form des erblichen Darmkrebses (HNPCC) das Intervall von etwa fünf Jahren zwischen den Darmspiegelungen angemessen und ausreichend.

Hotte: Ich habe meinen Arzt gebeten mit mir Klartext zu reden über meinen Vater (77J). Bislang habe ich das Gefühl, dass er das auch macht. Jetzt hat unser Vater nach ursprünglich erfolgreicher Operation und Chemo einen Rückfall nach fast 3 Jahren. Damals hatte der behandelnde Onkologe gesagt, dass die Prognose umso positiver ist, desto besser die Chemo anschlägt. Was sagt uns dieser Rückfall jetzt für die Prognose? Gibt es eine Chemo, die anders wirkt, eben wenn der Krebs durch Rückfall fortgeschritten ist?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich gehe davon aus, dass Ihr Vater eine Darmkrebserkrankung, vermutlich im Stadium 3, hatte und nach der Operation eine adjuvante Chemotherapie bekam. Diese Chemotherapie senkt das Risiko für einen Rückfall. Leider kommt es bei einem Teil der Patienten, trotz der adjuvanten Chemotherapie, zu einem Rückfall. Wenn die adjuvante Therapie zwei bis drei Jahre zurückliegt, so wird man jetzt die Entscheidung über die geeignete Chemotherapie nicht von der Vorbehandlung abhängig machen. Möglicherweise handelt es sich jetzt um eine palliative Situation. Dies bedeutet, dass eine Heilung des Patienten für immer nicht realistisch ist. Vielleicht liegen aber auch nur eine begrenzte Zahl von Metastasen vor oder aber ein Rückfall an Ort und Stelle und die Erkrankung kann noch einmal durch Operation behandelt werden. Manchmal kann auch eine intensive Chemotherapie zu einer Verkleinerung von Metastasen führen, so dass dann eine Operation mit dem Ziel der längeren Krankheitskontrolle möglich ist.

Hille_Ludwig: Diese systemischen Therapieformen bringen unendliche Qual über die Patienten und auch über ihre Familien. Trotzdem sind wir dankbar. Andererseits frage ich mich, wann im Krebsbereich endlich punktueller behandelt werden kann. Was gibt es an konkretem Leber- oder Knochenschutz?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Auf den gesamten Bereich der Onkologie bezogen, gab es tatsächlich in den letzten Jahren sehr eindrucksvolle Fortschritte, was gezielte Therapien betrifft. Bei einigen Erkrankungen haben so genannte gezielte Therapien mit monoklonalen Antikörpern oder Tyrosinkinasehemmern die Chemotherapie sogar komplett verdrängt. Bei Darmkrebs mit Metastasen ist heutzutage eine Kombination aus Chemotherapie und monoklonalen Antikörpern üblich, meist zufriedenstellend verträglich und auch recht wirksam. Die Frage zum Leber- oder Knochenschutz ist nicht einfach zu beantworten. Es gibt Medikamente (Bisphosphonate und der Antikörper Denosumab), die direkt auf eine Form von gutartigen Knochenzellen wirken und damit das Fortschreiten von Knochenmetastasen verhindern können. Der vorbeugende Einsatz dieser Medikamente wurde jedoch bisher nur für wenige Erkrankungen als erfolgreich getestet.

ullli_gge: Es sind Infusionen eines Antikörpers, die mein Onkel jetztb bejkommt. Mutti hat mir erklärt, dass Amtikörper Eiweißstoffe sind, die die bösen Eiweißstoffe bei meinem Onkel an sich binden. Geht das?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Antikörper sind große Eiweißmoleküle, die von unserem Immunsystem gebildet werden, um gezielt, z. B. Viren oder Bakterien zu erkennen und zu bekämpfen. Beim Einsatz von therapeutischen Antikörpern im Rahmen der Krebsbehandlung nutzt man solche großen Eiweißmoleküle, die jedoch künstlich hergestellt wurden und z. B. eine Oberflächenstruktur auf Krebszellen erkennen oder einen bestimmten Botenstoff erkennen und ihn inaktivieren können. Diese Antikörper werden auch nicht nur in der Krebsbehandlung, sondern in vielen anderen Bereichen der Medizin heute eingesetzt. Da sie sehr gezielt wirken, gibt es, anders als bei klassischer Chemotherapie, ein günstiges Verhältnis aus Wirkungen und unerwünschten Wirkungen.

ronald: was ist vectibix? Welcher Wirkstoff steckt dahinter? Dies ist ein M edikament für späte, schwere Verläufe. Arbeiten Sie damit?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Vectibix ist der Handelsname von dem monoklonalen Antikörper Panitumumab. Dies ist ein künstlich hergestellter Antikörper, der gegen eine Oberflächenstruktur (EGF-Rezeptor) auf den Krebszellen gerichtet ist. Bei etwa 50 % der fortgeschrittenen Darmkrebsfällen liegen Bedingungen vor, die dazu führen, dass die Kombination aus Chemotherapie und Panitumumab sehr wirksam ist. Diese Kombination hat sich sowohl als Erst- aber auch Zweitbehandlung bewährt. Für den Einsatz nach der Operation im Rahmen der oben angesprochenen adjuvanten Therapie gab es jedoch keine positiven Studienergebnisse. Ich verschreibe dieses Medikament regelmäßig bei einem Teil meiner Darmkrebspatienten. Gegenüber dem etwas älteren und ähnlichen Cetuximab bietet es Vorteile, da es seltener zu Unverträglichkeitsreaktionen kommt.

Lucy: Was ist dran an der Wurst und dem Darmkrebsrisiko? Sind da Wichtigtuer unterwegs, die gern mal in die Medien wollten, oder muss man das Ernst nehmen?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Insgesamt sind die Erkenntnisse, dass das Verzehren von Fleisch und insbesondere Wurst und Schinken zu einer Erhöhung des Darmkrebsrisikos führt, nicht neu. Man muss berücksichtigen, dass es sich um so genannte epidemiologische Studien handelt. D. h. Menschen wurden zu ihrem Nahrungsmittelkonsum befragt und man hat ihre Angaben mit der Häufigkeit von bestimmten Krebserkrankungen in Beziehung gebracht. Eine nachweisbare Häufung von Darmkrebs mit bestimmtem Essverhalten ist noch kein Beweis der Ursächlichkeit, sondern lediglich ein Hinweis, dass ein Zusammenhang bestehen könnte. Wie bereits ausgeführt, handelt es sich überwiegend um Studien, die schon viele Jahre, teilweise Jahrzehnte, alt sind. Eine Gruppe von Wissenschaftlern hat nun versucht, die Quintessenz zu Papier zu bringen. Als Fazit würde ich sagen, der Zusammenhang zwischen Fleisch- und Wurstkonsum und der Entstehung von Darmkrebs ist nicht so eindeutig, wie die Sequenz Rauchen und Lungenkrebs. Jedoch ist aufgrund der Menge an Studien eine Erhöhung des Risikos schon gegeben. Nicht zu vergessen ist, dass andere Risikofaktoren, wie mangelnde Bewegung, ebenso klar belegt sind. Mein persönlicher Rat wäre, den Konsum von Fleisch und so genanntem prozessiertem Fleisch (Pökeln, Räuchern) zu reduzieren. Ein kompletter Verzicht ab sofort ist meines Erachtens nicht dringend erforderlich.

momo: Welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen in der pallativen Situation eines metastasierter Rektumkarzinom. Bisherige Behandlung neben einigen Operationen Chemo mit 5FU und Bestrahlung (2009/2010). August 2010 8x folfox. 2015 bis August Irinotecan und Panitumumab. Seit heute Capecitabin und in der Pause Panitumumab. Welche Möglichkeiten gibt es dann noch? Stehen neue Behandlungen wie die Immuntherapie evtl. bald zur Verfügung?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich entnehme aus diesen Angaben, dass es unlängst zu einem Rückfall der Erkrankung gekommen ist, der mit Irinotecan und Panitumumab behandelt wurde. Vermutlich war die Behandlung erfolgreich und jetzt wurde die Therapie deeskaliert, d. h. Irinotecan, welches eher etwas schlechter vertragen wird, weggelassen. Wenn es zu einem erneuten Fortschreiten der Erkrankung kommt, so wäre vermutlich mit der Kombination Irinotecan und Panitumumab erneut ein Effekt zu erzielen. Wenn dies nicht hilft, so könnte auch noch einmal Oxaliplatin und 5FU einsetzen. Die von Ihnen angesprochene Immuntherapie war bei metastasiertem Darmkrebs bisher leider nur in einer sehr kleinen Untergruppe wirksam (Tumoren mit Mikrosatelliteninstabilität = MSI) und sie ist auch nicht zugelassen.

M_Abdi: Ist da was dran, dass bestimmte Arten der Bestrahlung die Killerzellen zum Tumor locken und ihn so verkleinern, oder sogar vernichten sollen? Funktioniert das auch?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich bin kein Spezialist für Strahlentherapie. Die Anlockung von Killerzellen durch Bestrahlung ist jedoch keine allgemein anerkannte Theorie zur Wirkung. Bei der Bestrahlung werden die Krebszellen, die sich im Allgemeinen wesentlich schneller teilen als gesunde Zellen und somit verletzlich sind, durch die Bestrahlung direkt getötet.

Gülzer: Man kann den Eindruck gewinnen, dass Antkörper-Therapien geraden einen Forschungs-Hype auslösen. Was ist mit Antikörpern, die schädliche Proteine auf T_Zellen zerstören sollen? Klappt das? Ist das eine neue Forschungsrichtung? Aber sicherlich dauert das richtig lange, bis die Patienten was davon haben. Mein Vater wurde gerade an Darmkrebs operiert. Mein Gedanke ist, vielleicht hat die Forschung da richtig einen Sprung gemacht, bis das bei ihm womöglich wiederkommt. Besteht diese Hoffnung?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wie bereits in einer Frage weiter oben ausgeführt, ist der Einsatz von monoklonalen Antikörpern heute in der Medizin recht verbreitet, da man sehr elegant sehr gezielt Strukturen erreichen kann. Das von Ihnen angesprochene Zielen auf T-Zellen ist identisch mit der bereits auch mehrfach angesprochenen Unterstützung des Immunsystems. Stark vereinfacht passiert dabei Folgendes: Krebszellen sind ja Zellen des betroffenen Menschen und deshalb fällt es dem Immunsystem sehr schwer, sie als fremd, falsch und möglicherweise böse zu erkennen und zu attackieren. Wenn das Immunsystem (die T-Zellen) zu ungehemmt andere Zellen bekämpft, so kommt es zu Autoimmunerkrankungen (Beispiele sind rheumatologische Erkrankungen, manche Formen der Schilddrüsenunterfunktion, chronisch entzündliche Darmerkrankungen und viele viele andere). Hieran sieht man, dass es weise ist, dass es hemmende Strukturen gibt, die die T-Zellen bei dieser Immunantwort bremsen. Bei der jetzt flächendeckend euphorisch gefeierten Ära der Immuntherapie in der Onkologie setzt man monoklonale Antikörper ein, die gezielt die hemmenden Strukturen auf Tumorzellen oder T-Zellen blockieren und somit quasi dem Immunsystem auf die Sprünge helfen, dass es eben doch den Tumor als böse erkennt und bekämpft. Besonders gut funktioniert das bisher bei Nierenkrebs, schwarzem Hautkrebs (Melanom) und einigermaßen bei Lungenkrebs. Wie bereits oben kurz angesprochen, sind die Erfolge bei Darmkrebs bisher auf eine sehr kleine Untergruppe, wo es funktioniert, beschränkt.

N_Haberland: Das Immunsystem soll ja überwiegend im Darm angesiedelt sein. Dann müsste doch besonders der Darm gut geschützt sein. Warum funktioniert das nicht?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Tatsächlich gibt es im Darm sehr viele Zellen des Immunsystems. Darmkrebs entsteht aus normalen Darmschleimhautzellen und unterscheidet sich nicht stark von diesen. Deshalb erkennen die Immunzellen den Darmkrebs nicht als fremd, anders, böse und bekämpfen ihn nicht. Anders sieht es aus mit den eigentlichen Zielstrukturen des Immunsystems, nämlich Bakterien, Pilzen oder Viren, die sehr erfolgreich erkannt und bekämpft werden. Kommt es zu einem Angriff des Immunsystems auf die Darmschleimhautzellen, so äußert sich dies in einer schwerwiegenden Autoimmunerkrankung mit Durchfällen und anderen Komplikationen. Eine der unerwünschten Wirkungen der neuen Krebsimmuntherapien äußert sich tatsächlich so.

Pirke: Antigene spielen eine wichtige Rolle bei der Krebsbekämpfung. Gilt das auch für Darmkrebs? Wie funktioniert das Prinzip?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Diese Frage greift erneut die Thematik der Immuntherapie auf. Wie bereits oben angesprochen, sind die Immuntherapien (Einflussnahme auf hemmende Signalwege des Immunsystems) beim Melanom, bei Nierenkrebs und bei Lungenkrebs relativ erfolgreich. Dies kann man damit erklären, dass tatsächlich auf den Krebszellen bei diesen Erkrankungen relativ viele Antigene vorkommen, die auf normalen Körperzellen nicht drauf sind. Zurück zum Darmkrebs musste man feststellen, dass sich selbst ein weit fortgeschrittener und rasch metastasierender Darmkrebs nur mit wenigen neuen Antigenen schmückt, die auf normalen Zellen nicht drauf sind. Deshalb funktioniert hier diese neue Immuntherapie kaum. Die einzige Ausnahme ist der seltene oben angesprochene Darmkrebs mit dieser Mikrosatelliteninstabilität. Bei dieser Form gibt es hunderte von neuen Antigenen auf den Krebszellen und bei diesem wirkt die Immuntherapie hervorragend. Allerdings liegen bisher nur frühe Studien vor und eine Zulassung der neuen und sehr teuren Immuntherapie-Antikörper für Darmkrebs liegt nicht vor.

Nils: Darmkrebs ist ja ein riesiges Thema, nicht zuletzt durch die großen Kampagnen, die jedes Jahr medienwirksam durchgeführt werden. Das soll sich ja auch positiv ausgewirkt haben. Ich frage mich aber, gibt es denn wirklich so viele Neufälle jedes Jahr, dass einer Krankheit eine derart große Aufmerksamkeit zuteil wird?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Es gibt etwa 70.000 Neuerkrankungen an Darmkrebs im Jahr. Damit ist es, wenn man beide Geschlechter zugrundelegt, die häufigste Krebserkrankung. Betrachtet man Männer alleine, so ist das Prostatakarzinom häufiger, betrachtet man Frauen alleine, so ist Brustkrebs häufiger. Es wird, meines Erachtens zu recht, große Aufmerksamkeit erzeugt, da die sehr effektive Früherkennungsmaßnahme in Form der Vorsorgekoloskopie leider, obwohl von den gesetzlichen Krankenkassen bezahlt, nur unzureichend von den Bürgern wahrgenommen wird. Manche Krankenkassen schreiben bereits ihre Mitglieder an und ermuntern sie eine Früherkennungskoloskopie vorzunehmen. Man denkt auch darüber nach, ein Einladungsschreiben flächendeckend zu verschicken, wie es bei der Früherkennungsmammographie gegen Brustkrebs durchgeführt wird.

Auch mit sehr konsequenter Wahrnehmung der Früherkennungskoloskopie wird man Todesfälle an fortgeschrittenem Darmkrebs nicht vermeiden können, eine deutliche Reduktion ist jedoch anzunehmen. Tatsächlich bemerken wir, dass heutzutage eindeutig mehr frühere Fälle im Stadium I oder II operiert werden. Bei diesen Patienten ist die Prognose dann deutlich besser. Vermutlich wird ein weiterer Teil der Aufmerksamkeit dadurch erzeugt, dass in den letzten Jahren einige neue Medikamente zur Behandlung von Darmkrebs zugelassen wurden und die Prognose der Patienten auch im fortgeschrittenen Stadium verbessert haben.

Ursa Hoffert: Seit mehreren Jahren wird die sogen. Angionesehemmung eingesetzt. Das Prinzip klingt total überzeugend. Dennoch hat es nicht zum erhofften großen Durchbruch in der Behandlung geführt. Warum nicht?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Das Prinzip der Angiogenesehemmung wird in der Onkologie bei vielen Erkrankungen genutzt. Es gibt zum Einen monoklonale Antikörper (Bevacicumab, Aflibercept und Ramucirumab), die bei Darmkrebs, Brustkrebs, Magenkrebs, Eierstockkrebs, Gebärmutterkrebs und Lungenkrebs eingesetzt werden sowie so genannte kleine Moleküle (Tyrosinkinasehemmer), die vor allem bei Nierenkrebs aber auch Lungenkrebs, Schilddrüsenkrebs und einigen anderen Tumoren eingesetzt werden. Bei nahezu allen Einsatzgebieten kam es zu einer mäßigen aber relevanten Verbesserung der Wirksamkeit. Bei einigen selteneren Krebserkrankungen war dies auch sehr eindrucksvoll. Somit ist es vielleicht nicht der erhoffte Durchbruch aber sicherlich zusammengefasst ein klarer Fortschritt in der Onkologie.

Nanny: Meine Oma hat mit 59 Jahren Darmkrebs bekommen. Man sagt ja immer, dass es da auch eine Vererbung geben kann. Was bedeutet das jetzt für meine Mutter und mich? Meine Mutter hat bereits vor zwei Jahren eine Dickdarmspiegelung machen lassen auf eigene Kosten. Ab wann sollte ich das auch tun?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Hiermit wären wir wieder bei dem Thema der Früherkennungskoloskopie. Für Menschen ohne Familiengeschichte wird sie ab 55 Jahren empfohlen und bezahlt. Meines Erachtens könnte man sie auch ab dem 50. Lebensjahr durchführen. Der Verdacht auf eine erbliche Darmkrebserkrankung wird erst geäußert, wenn es drei erstgradig miteinander Verwandte gibt, die jeweils an Darmkrebs erkrankten (Großmutter / Mutter / Patient, Tante / Mutter / Patient). Im Falle einer Darmkrebserkrankung mit unter 50 Jahren ist erhöhte Aufmerksamkeit geboten. Wenn wir eine Familie mit erblichem Darmkrebs identifiziert haben (vermutlich liegt das bei Ihnen nicht vor), so kann man eine genetische Beratung durchführen und danach bei einem nicht erkrankten Verwandten mittels eines genetischen Tests ermitteln, ob er die Darmkrebsveranlagung geerbt hat oder nicht. Im Allgemeinen empfiehlt man innerhalb solcher Darmkrebsfamilien bisher nicht erkrankte Verwandte in einem Lebensalter erstmalig zu untersuchen, welches zehn Jahre unter dem jüngsten Erkrankungsfall liegt.

Frage: Was ist die bessere Methode für die Darmspiegelung mit einem Endoskop oder digital? Gibt es da Unterschiede in der Sicherheit?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR:

Ich vermute, Sie beziehen sich auf die endoskopische Koloskopie oder aber virtuelle Koloskopie. Bei der virtuellen Koloskopie wird kein Endoskop durch den After in den Darm eingeführt. Allerdings erfolgt die komplette Abführungsprozedur mit literweise Trinken von wenig schmackhaftem Abführmittel ebenso, wie bei der Koloskopie. Wenn dann der Darm komplett entleert ist, wird eine Computertomographie durchgeführt und aus den Bilddaten wird ein Modell eines Darms dreidimensional rekonstruiert, in dem man Polypen und auch Tumoren erkennen kann. Der Nachteil ist, dass man keine Probe nehmen kann. Während vor etwas zehn Jahren eine große Euphorie bezüglich virtueller Koloskopie bestand, ist inzwischen Ernüchterung eingetreten und man geht davon aus, dass die endoskopische Koloskopie für die meisten das Verfahren der Wahl ist. Lediglich bei sehr sehr ängstlichen Menschen oder  wenn aufgrund von Verwachsungen das Vorschieben des Gerätes nicht gelingt, kann die virtuelle Koloskopie eine Alternative sein. Somit ist die endoskopische klassische Koloskopie die Methode mit der höheren diagnostischen Sicherheit.

Löwe: Wie weit ist man mit Erkenntnissen zum Wirkmechanismus von MGN1703 – IMPALA-Studie? Da es sich um eine neue Substanzgruppe handelt, haben wir die Hoffnung, dass daraus etwas komplett neues entsteht. Frage ist nur, wie lange dauert so etwas. Unser Vater ist momentan in einer stabilen Phase, aber wir gucken immer nach neuen Behandlungen, damit wir informiert sind, wenn der Krebs bei ihm zurückkommt. Womit leider gerechnet werden muss, weil gleich zu Anfang eine kl. Metastase in der Leber gefunden wurde.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Zugegebenermaßen bin ich nicht sehr gut mit den Details der IMPALA-Studie vertraut. Soweit mir bekannt, handelt es sich im weitesten Sinne auch um eine Art Immuntherapie. Bei Patienten mit metastasiertem Darmkrebs wird zunächst mit einer konventionellen Chemotherapie, ggf. kombiniert mit Antikörpern, der Krebs zurückgedrängt. Man hofft dann im Stadium mit nur geringer Erkrankung durch den Einsatz von MGN1703 dem Immunsystem auf die Sprünge zu helfen, so dass es die Krebserkrankung längerfristig oder zumindest für eine gewisse Zeit kontrolliert. Bis jetzt gibt es jedoch noch keine überzeugenden Daten, dass dies tatsächlich funktioniert. Die Grundidee ist jedoch gut und ich halte es für unterstützenswert, dass hier weiter geforscht wird.

Butterberg: Bei meinem Vater, fast 74, besteht Verdacht auf Darmkrebs. Er verliert Blut beim Stuhlgang. Wer ist zuständig für die Untersuchungen, der Internist oder der Chirurg? Wie finde ich den richtigen Arzt in und um Dortmund?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wenn ein Patient Blut im Stuhl bemerkt und der Verdacht auf Darmkrebs geäußert wird, so erfolgt zumeist als erstes eine Koloskopie und die Betreuung des Patienten erfolgt durch einen Internisten, im Speziellen ein Gastroenterologen. Falls Darmkrebs bestätigt wird, so sind Untersuchungen erforderlich, um das Stadium abzuschätzen und die weitere Therapie zu planen. Idealerweise sollte der Patient bereits jetzt in den Händen eines so genannten Darmzentrums sein. Hier arbeiten Spezialisten verschiedener Fachrichtungen zusammen (Gastroenterologen, Onkologen, Strahlentherapeuten, Radiologen, Pathologen und Viszeralchirurgen). Sicherlich kann auch der Hausarzt hier eine Empfehlung abgeben, da - wie oben ausgeführt - Darmkrebs eine sehr häufige Erkrankung ist. In einer Stadt wie Dortmund gibt es auf jeden Fall mehrere Darmzentren. Der Chirurg sollte erst nach Zusammenkunft eines so genannten Tumorboards zum Skalpell greifen.

Harald: Was genau gehört zur Diagnostik von Organen und Knochen, um festzustellen, ob es Metastasen gibt?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Bezogen auf Darmkrebs gehört zum so genannten Staging (mit Hilfe von Untersuchungen das Krankheitsstadium festlegen) die Durchführung einer Computertomographie vom Brustraum, Bauchraum und Becken. Alternativ kann auch eine Kernspintomographie (MRT) durchgeführt werden. Die Minimalvariante wäre ein Röntgenbild vom Brustkorb und eine Ultraschalluntersuchung vom Bauch. Bei Darmkrebs werden keine spezifischen Untersuchungen bezüglich Knochenmetastasen durchgeführt, da Knochenmetastasen zum Zeitpunkt der Diagnose ausgesprochen selten sind. Bei anderen Erkrankungen (Brustkrebs, Prostatakrebs und Lungenkrebs) erfolgt zur Erkennung von Knochenmetastasen eine so genannte Knochenszintigraphie. Welche Staginguntersuchungen bei welcher Erkrankung angemessen sind, ist teilweise sehr unterschiedlich und wird vom behandelnden Arzt festgelegt.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern dieser Sprechstunde für die rege Teilnahme und die vielen interessanten Fragen. Ich verabschiede mich nun von Ihnen und wünsche Ihnen einen schönen Abend.



Ende der Sprechstunde.