PROTOKOLL

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wir beginnen um 19:00 Uhr.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Bitte senden Sie uns weiterhin Ihre Fragen zu.

simonseiner: Bin 74 und war kerngesund bis man zufällig ein PSA von 1500 gemessen hat.Gleason 10x4-5 Knochenmetastasen in LWS Rippen und Kalotte.Nach 6 Monaten PSA bei 7,15.Therapie Profact d und Zometa,jetzt PSA auf 8,50 angestiegen,daher seit 18 Tagen Bicalutamid zusaetzlich,ist das die optimale Behandlungsform? Wuerde Xofigo in meinem Fall einen Vorteil bringen ?

Toscher: Bei der Krebsvorsorge bekomme ich immer so Briefchen für verstecktes Blut. Wie gut ist so ein Stuhltest

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Die Krebsvorsorgeuntersuchung mit Hilfe der Analyse auf verborgenes Blut im Stuhl ist bereits etwa 30 Jahr alt und mit Sicherheit besser, als gar keine Vorsorgeuntersuchung.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Allerdings gibt es sowohl falsch positive als auch falsch negative Untersuchungsergebnisse. Wenn der Test anschlägt, würde man ohnehin eine komplette Darmspiegelung empfehlen. Die beste Form der Vorsorge und Früherkennung ist eine komplette Darmspiegelung, die bei uns ab dem 55. Lebensjahr empfohlen wird. In Risikofamilien kann man auch früher damit beginnen.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich persönlich würde jedem zur Darmspiegelung ohne vorherigen Stuhltest raten.

Caro-Link: Ich habe nach einer Darmkrebsoperation im Juni 2014 und 6 Zyklen Chemotherapie FU immer noch Durchfälle. Metastasen wurden nicht festgestellt. In der Leiste habe ich vergrößerte Lymphknoten. Was bedeutet das, ist das eine späte Nebenwirkung?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass die Durchfälle noch eine Folge der Chemotherapie sind. Möglicherweise liegt es eher an der Operation, dass man Ihnen ein Stück des Dickdarms entfernt hat. Sie sollten mit dem Chirurgen oder ggf. Gastroenterologen reden, ob man Ihnen diesbezüglich medikamentös helfen kann. Die vergrößerten Lymphknoten in der Leiste sind vermutlich unbedenklich. Man sollte jedoch auf jeden Fall zumindest eine Ultraschalluntersuchung derselben vornehmen.

Toni: Gibt es begleitende Therapien parallel zur Chemotherapie, die das alles erleichtert? Gegen die Übelkeit bekommt sie was. Das hilft aber nur wenig. Was ist mit dieser extremen Müdigkeit, Schwäche usw. ?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Insbesondere zur vorbeugenden Behandlung und ggf. auch Therapie von Übelkeit und Erbrechen gibt es heute sehr potente Medikamente. Wir setzen nicht alle bereits vom ersten Zyklus prophylaktisch ein. Möglicherweise bestehen hier noch Verbesserungsoptionen. Die Abgeschlagenheit und Schwäche als Folge der Chemotherapie ist leider auch weit verbreitet und es gibt kaum die Möglichkeit der medikamentösen Behandlung. Sich viel körperlich zu bewegen und immer aktiv zu bleiben, ist der beste Weg, hiermit umzugehen. Man sollte auf jeden Fall überprüfen, ob eine Blutarmut (Anämie) zusätzlich vorliegt, da man diese behandeln kann.

Schuhback: Hier der Befund meiner Frau: Proximales Jejunalkarzinom pT4 pN1 (7/8) M0 R1 G2 (C97) Können Sie eine Prognose über die Metastasenbildung dieses Tumors im Hinblick auf seine Lage an der Aorta mesenterica superior geben. Ob eine R1 oder RX vorliegt scheint im Befund unklar zu sein. Die Chirurgen gingen aber eher vom ersten Fall aus. Mir fehlt die Prognose zu möglichen Metastasierung und ob oder was man machen kann über eine enge Nachkontrolle hinaus.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Bei Ihrer Frau wurde ein Dünndarmkarzinom diagnostiziert und behandelt. Diese Erkrankung ist etwa einhundertmal seltener als Dickdarmkrebs. Der Tumor war an Ort und Stelle schon recht weit fortgeschritten, was man der Tumorformel entnehmen kann. Das Tumorboard (alle Experten gemeinsam) sollte in einem derartigen Fall entscheiden, ob möglicherweise eine zusätzliche Strahlentherapie Sinn macht. Eine so genannte adjuvante Chemotherapie nach Operation ist beim Dünndarmkarzinom nicht der etablierte Standard. Dies liegt jedoch daran, dass die Erkrankung viel zu selten ist, um große klinische Studien durchzuführen. Da Dünndarmkarzinome grundsätzlich eine ähnliche Chemoempfindlichkeit wie Dickdarmkarzinome haben, würden wir in einem vergleichbaren Falle durchaus mit unseren Patienten eine adjuvante Chemotherapie besprechen und ggf. auch durchführen. Ggf. sollten Sie sich eine zweite Meinung in einem größeren Zentrum einholen.

Hasecker: Kann das sein, dass man jetzt eine wirksame Darmkrebsbehandlung mit Tabletten machen kann? Ich kann das gar nicht glauben, weil ich mir vorstelle, dass ich dabei auch arbeiten kann. Oder verstehe ich da was falsch? Können Tabletten genauso wirksam sein, wie Infusionen (hatte ich vorher)? Wie ist das mit Nebenwirkungen, sind die dann auch weniger? Haare??

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Zur Behandlung von Darmkrebs sind prinzipiell Chemotherapiemedikamente aus drei verschiedenen Wirkprinzipien zugelassen und etabliert. Schon lange im Einsatz (50 Jahre) ist das bewährte Medikament 5-FU. Ein Medikament, welches in mehreren Schritten im Körper in 5-FU umgewandelt wird, steht in Tablettenform zur Verfügung (Capecitabin oder Xeloda). Dieses Medikament ist bezüglich Wirkung aber auch unerwünschten Wirkungen mit 5-FU als Infusion (wofür man ein so genanntes Portsystem benötigt) vergleichbar. Die Einnahme von Tabletten anstelle von Infusionen ist natürlich für viele Patienten angenehmer. Bezüglich Haarausfall ergeben sich keine Unterschiede. Die anderen Chemomedikamente (Oxaliplatin und Irinotecan) können nicht durch Alternativen in Tablettenform ersetzt werden. Das Gleiche gilt für die hochwirksamen modernen monoklonalen Antikörper, die immer als Infusion gegeben werden müssen.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ob für Sie eine Tablettenchemotherapie in Frage kommt, müssen Sie mit Ihrem behandelnden Onkologen besprechen.

Rüsselsheim: Was ist Panitumumab? Ist das ein Medikament, dass sich von anderen unterscheidet, die zur Darmkrebsbehandlung eingesetzt werden?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Panitumumab ist eines der so genannten gezielten Medikamente, die zur Behandlung von Darmkrebs eingesetzt werden. Es ist ein so genannter monoklonaler Antikörper. Panitumumab und das schon etwas länger verfügbare Cetuximab sind Antikörper gegen den EGF-Rezeptor, eine Oberflächenzellenstruktur auf den Krebszellen. Diese Medikamente werden zusammen mit Chemotherapie eingesetzt und führen zu einer verstärkten Wirkung. Beide Medikamente dürfen jedoch nur bei Patienten eingesetzt werden, in deren Tumoren bestimmte Biomarker nachgewiesen wurden (so genannter Ras-Status: Wildtyp). Dies gilt für ungefähr 50 % der Patienten. Panitumumab und Cetuximab sind sehr potent, führen jedoch auch zu unerwünschten Wirkungen, insbesondere an der Haut. Panitumumab hat gegenüber Cetuximab den Vorteil, dass man es nur alle zwei Wochen intravenös geben muss und dass es seltener zu Unverträglichkeitsreaktionen nach der Infusion führt.

LIRTLER: Ich bin sehr beunruhigt und sammle überall Informationen ein. So auch hier in dieser Sprechstunde. Es gibt an allen größeren Krankenhäusern inzwischen Psychologen. Pain-Nurses dagegen gibt es nur vereinzelt? Wie finde ich eine pain-nurse? Wer stellt den Kontakt her, oder kann ich da einfach um ein Gespräch bitten für meine Mutter?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Die Frage nach einer Pain-Nurse lässt mich vermuten, dass Ihre Mutter unter Schmerzen leidet. Schmerz ist ein häufiges Symptom bei Krebspatienten und lässt sich insgesamt recht erfolgreich behandeln. Die meisten Onkologen haben ausreichend Erfahrung mit der Behandlung von Schmerzen und kennen die potenten Medikamente, die man einsetzen kann. Nur in seltenen Fällen schicke ich z. B. einen Patienten zusätzlich zu einem Schmerztherapeuten. Der Begriff Pain-Nurse ist mir ehrlich gesagt noch gar nicht begegnet. Selbstverständlich gehen sowohl unsere Krankenschwestern auf den Stationen als auch im ambulanten Bereich auf die Patienten ein, erkundigen sich über Schmerzen und können vermittelnd zwischen dem Patienten und dem Arzt wirken, ohne dass sie dafür den Titel Pain-Nurse haben müssen.

Kuschi: Ab wann streut ein Darmtumor?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Die meisten Darmtumoren (Darmkrebs oder so genanntes Karzinom) wachsen in der Schleimhaut über Jahre, ehe sie auch in die Muskelschicht des Darmes eindringen und später in die Lymphabflusswege oder in die Blutbahn. Über die Lymphwege oder die Blutbahn kann es dann zu Absiedlungen, Tochtergeschwülsten oder Metastasen kommen (in Lymphknoten, in der Leber, in der Lunge, in sonstigen Organen). Grundsätzlich kann dies schon bei einem recht kleinen Tumor (1 cm, auf die Schleimhaut begrenzt, so genannte T1) passieren. Es ist jedoch sehr selten. Das Risiko für Metastasen steigt mit der Größe des Tumors und mit der Zahl befallener Lymphknoten im Operationspräparat.

Lückert: Meine Mutter hat Darmkrebs und ich suche und recherchiere nach allen Möglichkeiten. Frage: Ist die Methode dem Patienten während eines künstlichen Komas Fieber einzuleiten anerkannt?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Die Behandlungsmethode, die Körpertemperatur zu erhöhen und damit die Therapie effektiver zu machen (Hyperthermie), wird schon seit Jahrzehnten eingesetzt und untersucht. Wissenschaftlich als überlegen bewiesen ist bisher nur die so genannte regionale Hyperthermie, bei der Chemotherapie plus Wärme (42 bis 43 Grad Celsius) zur Behandlung von Krebs am Bauchfell eingesetzt wird (so genannte HIPEC). Eine Ganzkörperhyperthermie in Narkose wird in einigen wenigen Zentren in Deutschland zur Behandlung einer metastasierten Krebserkrankung angeboten, muss aber noch als experimentell gelten. Ehe sie ein solches Behandlungsverfahren für Ihre Mutter erwägen, sollten Sie in jedem Falle eine zweite Meinung einholen. Wenn es um die intraoperative erhitzte Chemotherapie zur Behandlung der Peritonealkarzinose (HIPEC) geht, die in etwa 10 bis 20 Zentren in Deutschland angeboten wird, so halte ich das Verfahren für etabliert.

Sylt/Westerland: Musste jetzt von meiner geliebten Insel aufs Festland, da ich an Darmkrebs erkrankt bin. Habe von Vectibix gehört, da muss man nur alle zwei Wochen zur Injektion. Dann könnte ich auf weiterhin auf Sylt leben. Ist mein Gedankengang verständlich?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Wie bereits in einer Frage weiter oben erläutert, handelt es sich bei Vectibix (Panitumumab) um einen monoklonalen Antikörper, der über die Vene gegeben wird. Im Gegensatz zu dem sonst vergleichbaren Präparat Cetuximab ist Vectibix für die Behandlung alle zwei Wochen zugelassen. Ein Behandlungsschema, wo Sie alle zwei Wochen in ein weiter entferntes Zentrum fahren und ansonsten auf Sylt die Natur genießen, ist absolut realistisch. Ob Vectibix bei Ihnen jedoch überhaupt angezeigt ist, hängt - wie oben ausgeführt - von bestimmten Faktoren und dem Stadium Ihrer Krankheit ab.

Eduard: Was ist die beste, neueste Behandlung bei Darmkrebs?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Dies ist eine sehr schwierige Frage. Die besten Medikamente stehen uns bereits seit mehreren Jahren zur Verfügung. Leider gab es in den letzten Jahren keinen wirklich eindrucksvollen Fortschritt. Was wir seit zwei, drei Jahren wissen, betrifft den Einsatz der beiden monoklonalen Antikörper Panitumumab und Cetuximab zusammen mit Chemotherapie. Wenn ein so genannter RAS-Wildtyp vorliegt (Merkmale, die der Pathologe am Tumormaterial bestimmt) so sollten im Allgemeinen diese Medikamente bei metastasiertem Darmkrebs schon in der Erstbehandlung eingesetzt werden, da sie zu einer deutlich erhöhten Wirksamkeit und zu einer längeren Krankheitskontrolle führen. Auf den Unterschied zwischen den beiden Antikörpern wurde bereits oben eingegangen.

Carry: Meine Mutter hatte über mehrere Monate Durchfall, der nicht wegging. Unser Hausarzt hat das nicht ernst genommen. Irgendwann folgte eine Darmspiegelung, auch alles ok. Erst bei einer erneuten Spiegelung erhielt sie die Diagnose Darmkrebs. Es folgte eine Operation und eine Chemotherapie über 6 Monate. Trotzdem hatte der Krebs Metastasen gebildet. Jetzt geht alles von vorn los. Inzwischen ist meine Mutter sehr mutlos, ich auch. Was kann noch getan werden, was anders ist, als beim ersten Mal, damit sie eine bessere Chance bekommt?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Zunächst sollte man sehen, wie ausgeprägt die Metastasen sind. Möglicherweise liegt ja eine überschaubare Zahl von Metastasen ausschließlich in der Leber vor. Selbstverständlich ist es sehr enttäuschend, wenn relativ kurz nach Operation und Chemotherapie die Krankheit wieder fortgeschritten ist. Auf der anderen Seite gibt es noch einige potente Medikamente, die man im Falle einer metastasierten Erkrankung einsetzen kann und mit denen wir in Einzelfällen sehr erfreuliche Rückbildungen der Erkrankung erreichen können.

PGahrde: Haben Tumorzellen, die im Blutkreislauf transportiert werden die gleichen Eigenschaften wie der Tumor selbst? Könnte man die nicht abfischen durch eine Art Blutwäsche?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Prinzipiell haben Tumorzellen, die sich über die Blutbahn ausbreiten und zu Metastasen führen die gleichen Eigenschaften wie  der Primärtumor. Die Idee des Abfischens ist jedoch nicht realistischer Weise erfolgsversprechend, da einzelne Tumorzellen sich nicht wesentlich von z. B. weißen Blutkörperchen unterscheiden und man sie insofern nicht gezielt aus dem Blut entfernen kann.

Fahning: Bei meiner Großmutter wurde alles auf einmal festgestellt: Darmkrebs, Lymphknoten betroffen und Lunge. Wir sind schockiert, wie kann es sein, dass sie aus einem normalen Leben mit keinen besonderen Beschwerden derart krank sein kann? Es macht uns fassungslos. Geht so was? Kann man die damit verbundenen Anzeichen derart verdrängen? Das soll doch in der Entwicklung 7 Jahre dauern oder ist das so eine Art schneller Darmkrebs, der sich besonders schnell entwickelt?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Leider führt Darmkrebs nur selten zu Frühsymptomen. Wenn keine entsprechenden Vorsorgeuntersuchungen durchgeführt werden, so kann es sein, dass bereits zum Zeitpunkt der Diagnose Metastasen in verschiedenen Organen vorliegen. In den meisten Fällen hat sich der Krebs tatsächlich über viele Jahre entwickelt, wurde jedoch nicht entdeckt. Tatsächlich gibt es selten auch Fälle, wo sich Darmkrebs recht rasant innerhalb von ein bis zwei Jahren entwickelt und ausbreitet. Dies ist jedoch die Ausnahme.

Hill: Sprechen alle Menschen auf Homöopathie an, oder muss man da eine besondere Einstellung zu haben, dies sich körperlich auswirkt? Ich meine natürlich nicht als Krebstherapie, aber als Begleitung, um die Lebensqualität durch die harten Medikamente zu verbessern.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Die Homöopathie ist eine sehr spezielle Richtung der Medizin, die eine Jahrhunderte alte Tradition hat. Der Nutzen der Homöopathie ist wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Dies liegt jedoch hauptsächlich daran, dass ausreichend große wissenschaftliche Untersuchungen gar nicht durchgeführt wurden. Die Anhänger der Homöopathie gehen  davon aus, dass alle Patienten auch auf die Behandlung ansprechen und der Erfolg nicht von der Einstellung abhängt. Anhänger der Homöopathie sind auch davon überzeugt, dass Homöopathie bei Tieren wirkt. Dies zeigt uns, dass eine spezielle Einstellung zu der Therapieform ja nicht erforderlich sein muss. Ich persönlich wende Homöopathie nicht an. Ich bin jedoch aufgeschlossen, wenn ein Patient von mir Homöopathie anwendet und eine positive Beeinflussung seiner Lebensqualität oder von einzelnen Symptomen berichtet. Neben Homöopathie gibt es viele andere Behandlungsmethoden in der so genannten Komplementärmedizin. Unter diesem Begriff werden Behandlungsmethoden zusammengefasst, die bisher  wissenschaftlich nicht untersucht wurden oder einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhielten, sondern eher aus dem Bereich der Erfahrungsmedizin kommen. Weitere Beispiele wären Misteltherapie, Akkupunktur und viele andere.

Kessy: Ich bin jetzt 33. Meine Mutter ist 62 Jahre und hat Darmkrebs. Gleich nach der Diagnose meiner Mutter habe ich bei mir eine Darmspiegelung machen lassen, weil ja auch junge Leute daran erkranken können. Alles war okay. In welchem Abstand sollte ich das wiederholen?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Es ist nachvollziehbar, dass Sie sich bei der Darmkrebsdiagnose Ihrer Mutter große Sorgen machten und gleich die Vorsorgedarmspiegelung wahrnehmen wollten. Falls Ihre Mutter die einzige Betroffene in der Familie ist, so war Ihre Sorge eigentlich unbegründet und man hätte Ihnen im Alter von 33 Jahren von der Darmspiegelung eher abgeraten, da erst um das 50. Lebensjahr herum das Risiko, an Darmkrebs zu erkranken, die Vorsorgespiegelung rechtfertigt. Ganz anders sieht es bei familiärem Darmkrebs aus, wo durchaus bei jüngeren Mitgliedern der Familie schon die Darmspiegelung angewendet werden sollte. Wenn bei Ihnen jetzt alles in Ordnung war, so reicht sicherlich eine Kontrolluntersuchung nach zehn Jahren. Selbst dann wären Sie mit 43 Jahren noch mehr als zehn Jahre jünger als die 55 Jahre, die man als Alter für den Beginn der Vorsorgeuntersuchung angesetzt hat.

Brandt: Wenn man die Beschreibungen der unterschiedlichen Chemotherapien o.ä. liest, denkt man, das sei alles ganz easy. Da gibt es Tabletten, die ihre Wirkung angeblich erst in der Krebszelle entfalten usw. Das kann doch nicht sein. Denn eine Tablette geht ja erst einmal komplett durchs System, bis der Wirkstoff irgendwann im Tumor und der Krebszelle ankommt. Auf dem Weg dorthin passiert doch was. Warum klingt das alles so harmlos? Wäre es nicht besser klar zu formulieren, dass auch Tabletten eine Hammertherapie sind?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Zunächst müssen wir unterscheiden, ob Sie mit der angesprochenen Tablette eine Chemotherapietablette meinen, wie das weiter oben besprochene Capacitabin.Dies ist tatsächlich ein Zytostatikum, welches unerwünschte Wirkungen vergleichbar mit intravenöser Chemotherapie hat. Es gibt jedoch für bestimmte Krebsarten heutzutage sehr sehr wirksame gezielte Therapien, die wirklich fast ausschließlich in der Krebszelle wirken und ein eindrucksvolles Verhältnis zwischen Wirksamkeit und unerwünschten Wirkungen zu haben. Bei Darmkrebs spielen diese Medikamente leider keine Rolle. Sie haben sich bei einigen Formen von Blutkrebs, bei bestimmten Formen von Lungenkrebs und beim so genannten gastrointestinalen Stromatumor (GIST) bewährt. Ob für einen Krebspatienten eine derartige Therapie in Frage kommt, hängt von vielen Faktoren ab.

Niels_Folkert: Mein Vater muss sich kommende Woche einer Operation wegen Dickdarmkrebs unterziehen. Der Tumor sitzt mittig und deshalb hat der Chirurg vorgeschlagen, die Operation mit kleinen Schnitten mit der Schlüssellochchirurgie zu machen. Das wird häufiger gemacht habe ich herausgefunden. Aber es muss ja noch das Stück Darm herausgeholt werden. Offenbar sind die Fachleute sich durchaus nicht einig, ob das nicht Gefahren in sich birgt, dass Krebszellen in den Bauchraum kommen können. Wenige kleine Schnitte anstelle eines großen Bauchschnittes klingen ja gut, aber die Bedenken nicht weniger Fachleute wiegen auch schwer. Wozu rät der Dr. Kretzschmar?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Zunächst mal muss ich klarstellen, dass ich kein Chirurg bin. Die Schlüssellochchirurgie wird seit ca. 10 bis 15 Jahren auch bei Darmkrebs angewendet. Wenn ein Operateur, der im so genannten laparoskopischen Operieren versiert ist, das Verfahren nutzt, so sind die Ergebnisse mindestens genauso gut, wie bei der offenen Operation und bezüglich Schmerzen und Wundheilung ergeben sich Vorteile. Skeptisch wäre ich nur, wenn der Chirurg den Eingriff bei Ihrem Vater erst zum dritten oder vierten Mal macht. Die Patienteninformationen von klinischen Studien sind häufig sehr ausführlich und können durchaus 10 bis 20 eng beschriebene Seiten umfassen.

Schnackelburg: Es geht bei meinem Bruder um die Therapieentscheidung und die Möglichkeit an einer Studie teilzunehmen. Die Patienteninformation spricht von 2 Teilen. Ist das identisch mit Phase II? Nach meinen Recherchen klingt Phase III erst richtig interessante, wenn man schon mehr über die Dosierung und Mischung weiß. Vorher ist man eher Versuchskaninchen. Sehe ich das zu kritisch? Bitte singen Sie nicht das Hohelied der Studien und dass man dadurch als Patient unter besonderer Beobachtung ist. Ich weiß um die Notwendigkeit von Studien und entsprechende Teilnehmer. Aber wenn man selbst betroffen ist in der Familie muss man egoistisch denken.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR:

Die Patienteninformationen von klinischen Studien sind häufig sehr ausführlich und können durchaus 10 bis 20 eng beschriebene Seiten umfassen. Nicht immer ist es in diesem Wust von Informationen einem Laien leicht verständlich, worum es wirklich geht. Ganz entscheidend ist es, dass der Patient, den es betrifft, Vertrauen zu dem Arzt hat, der ihm die Studie vorschlägt. Dann wird er von diesem sicher angemessen den vermeindlichen Nutzen erklärt bekommen und auch verstehen. Wenn die Patienteninformation von zwei Teilen spricht, würde ich nicht automatisch von einer Phase II Studie ausgehen. Darüber hinaus muss nicht unbedingt ein Medikament in einer Phase III Studie schon stärker erprobt sein, als eines in einer Phase II Studie. Nur Ihr behandelnder Arzt kann Ihnen erläutern, was es konkret mit der Studie auf sich hat. Das von Ihnen angesprochene Versuchskaninchen gilt eigentlich nur für wirklich sehr frühe Erprobung am Menschen, welche man jedoch nur Patienten vorschlägt, für die es keinerlei etablierte Therapie gibt.

Hin_Rip: Wir brauchen Hilfe, jemanden der uns Mut macht. Ich denke da weniger an Selbsthilfe, als an einen richtigen Psychologen oder Therapeuten, mit besonderer Erfahrung im Umgang mit Krebsfamilien. Aber das ist schwer, denn wir leben in der Uckermark und da sind nur wenige Therapeuten. Könnte meine Frau auch stationär in einer psychosomatischen Klinik aufgenommen werden, obwohl das nicht ihre Grunderkrankung ist, sondern der Darmkrebs, der die ganze Familie in eine Zerreisprobe gebracht hat, weil wir einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb führen und alle Hände gebraucht werden?

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich gehe davon aus, dass Sie eine psychoonkologische Betreuung ansprechen. Möglicherweise sollten Sie sich über die Krebsberatungsstelle des Landes Brandenburg oder auch Berlin kundig machen, ob und wo es in der Uckermark eine psychoonkologische Betreuung gibt und ob man diese ambulant wahrnehmen kann. Eine psychosomatische Klinik ist meines Erachtens nicht unbedingt der richtige Ort für Ihre Frau. In jedem Falle sollten Sie mit Ihrem Hausarzt und dem behandelnden Onkologen die Problematik besprechen. Möglicherweise käme auch ein Aufenthalt in einer Reha-Klinik, in denen es häufig eine brilliante psychoonkologische Betreuung gibt, in Frage.

DR. MED. ALBRECHT KRETZSCHMAR: Ich danke Ihnen für die rege Teilnahme an dieser Sprechstunde und die vielen interessanten Fragen. Nun wünsche ich Ihnen allen einen schönen Abend!



Ende der Sprechstunde.