Multiples Myelom: Daten und Fakten

Dr. med. Hans Salwender
Leitender Oberarzt
Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin

Asklepios Klinik Altona
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Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg

PROTOKOLL

Multiples Myelom: Daten und Fakten

DR. MED. HANS SALWENDER: Wir beginnen um 19 Uhr.

richard: was genau ist ein multiples myelom?

DR. MED. HANS SALWENDER: Das multiple Myelom ist eine Erkrankung des Immunsystems bei der sich ein Teil des Immunsystems bösartig verändert und den gesunden Teil des Immunsystems unterdrückt, weswegen es zu gehäuften Infektionen kommt und insbesondere zu schwerwiegenden Infektionen kommen kann. Darüber hinaus leben diese bösartigen Plasmazellen im Knochenmark, wo sie sich vermehren und irgendwann die Blutbildung unterdrücken können. Zusätzlich kann es durch diese Zellen zu einem Knochenabbau kommen mit Knochendefekten bis hin zu Knochenbrüchen. Weiterhin produzieren diese Plasmazellen Eiweiße, welche unter bestimmten Umständen die Niere schädigen können. Die Erkrankung beginnt mit einer Vorphase, welche über Jahre und Jahrzehnte ohne Behandlungsbedürftigkeit bestehen kann. Grundsätzlich ist diese Erkrankung für die meisten Patienten unheilbar, jedoch oftmals über viele Jahre behandelbar, so dass ein zunehmend größerer Teil unserer Patienten eine normale Lebenserwartung erreichen kann. Die Behandlung ist in erster Linie daraufhin ausgerichtet, die Komplikation, wie Knochenbrüche, Nierenschädigung und Einschränkung der Blutbildung, welche bei verschiedenen Patienten in höchst unterschiedlicher Ausprägung auftreten können, zu verhindern oder zu beseitigen.

Bärbel_Finndorff: Wie ist es möglich, dass aus einer einzigen entarteten Zelle eine derart fundamentale Krankheit wie das Multiple Myelom entstehen kann?

DR. MED. HANS SALWENDER: Immerhin besteht unser gesamter Körper aus einer befruchteten Zelle. Die bösartig veränderte Zelle lebt länger als andere Zellen und behindert andere Zellen an deren Wachstum. Im Prinzip hat sie somit einen Wachstumsvorteil, weswegen über einen teilweise sehr sehr langen Zeitraum, von Jahren bis Jahrzehnten, sich diese kranken Zellen anhäufen können und dann zu verschiedenen Defekten im Knochenmark, an den Knochen oder den Nieren führen können.

Kati_Stamer: Geplant sind 10 Bestrahlungen/0 NW wegen Metastasen an der Wirbelsäule (Grunderkrankung Mult. Myelom). Richtig weg war die Krankheit nie, aber mir fehlt meine Arbeit, (Disposition in Spedition) die rauhen Jungs, das ist wunderbarer Alltag für mich. Gibt es eine Faustregel, wenn das wieder möglich ist, oder sogar während der Bestrahlung??

DR. MED. HANS SALWENDER: Unter der Bestrahlung kann es zu unerwünschten Begleiterscheinungen kommen, wie z. B. Übelkeit, weswegen Sie wahrscheinlich während der Bestrahlung nicht arbeitsfähig sind. Die Arbeitsfähigkeit hängt aber zum Großteil davon ab, wie belastbar Ihre Knochen, insbesondere  die Wirbelsäule, sind und wie erträglich bei der Arbeit Ihre Schmerzen sind. Es gibt sicherlich keine Faustregel um Ihnen zu sagen, wann Sie wieder arbeiten können, welche ich Ihnen über das Internet mitteilen könnte. Hier muss der behandelnde Onkologe in Kenntnis des Zustandes der Knochen, möglicherweise nach Rücksprache mit dem betreuenden Orthopäden, Ihnen einen individuellen Rat erteilen.

Rafael: Es geht um eine Chemotherapie, die meine Mutter bekommen soll, dass das Tumorgewebe reduziert wird. Später dann evtl. eine Stammzelltransplantation. Jetzt habe ich gehört, dass es durchaus Chemotherapien gibt, nach denen man keine SZT mehr machen kann. Stimmt das? Warum? Welche?

DR. MED. HANS SALWENDER: Als Voraussetzung für eine Stammzelltransplantation müssen zuvor blutbildende Stammzellen aus dem Blut des Patienten gewonnen werden. Diese Stammzellen können durch bestimmte Chemotherapien derart in ihrer Zahl vermindert werden, dass keine erfolgreiche Stammzellsammlung mehr möglich ist. Dies betrifft insbesondere das Medikament "Melphalan", besonders wenn dieses über einen längeren Zeitraum, über einige Monate hinaus, verabreicht wird. Deshalb wird in der Regel Ihr behandelnder Arzt vor Einsatz dieses Medikamentes beurteilen, ob Sie für eine Stammzelltransplantation geeignet sind. Dies machen wir bereits seit Jahrzehnten so. Heutzutage sind die Möglichkeiten der Stammzellsammlung aber wesentlich besser als noch vor zehn Jahren. D. h. auch nach einer Vorbehandlung mit Melphalan ist eine Stammzellsammlung - und damit eine nachfolgende Stammzelltransplantation - nicht bzw. nicht mehr komplett ausgeschlossen.

A_Schreiber: Nach einem Rückfall bekomme ich jetzt ein relativ neues Medikament das zentral auf der Substanz Carfilzomib basiert, vielleicht ist da auch noch zusätzlich was dabei. Gehört aber auf jeden Fall zu den Neuentwicklungen. Wenn was neu ist, sollte es besser sein, als das vorangegangene. Deshalb die Frage, ob sich dadurch meine Chancen nachhaltig verbessert haben?

DR. MED. HANS SALWENDER:

In Deutschland wurden in den letzten ein bis zwei Jahren mehrere neue Medikamente zugelassen. Carfilzomib ist eines davon. Dieses Medikament ist von der Wirkung ähnlich zu dem bereits seit über zehn Jahren bekannten Bortezomib (Velcade). In einem direkten Vergleich dieser beiden Medikamente hatten die Patienten mit Carfilzomib eine längere rückfallsfreie Zeit. Diese Studie wurde durchgeführt bei Patienten, die bereits eine Vorbehandlung, z. B. mit Bortezomib, hatten. Der Vorteil dieses Medikamentes liegt u. a. darin, dass die Rate an unerwünschten Begleiterscheinungen, in Form einer Nervenschädigung, vermindert sind. Der Nachteil ist z. B., dass dieses Medikament im Moment noch zweimal die Woche über die Vene verabreicht werden muss, während Bortezomib mittlerweile üblicherweise unter die Bauchdecke gespritzt wird. Grundsätzlich gehe ich fest davon aus, dass sich Ihre Chancen auf ein längeres Überleben mit diesen neuen Substanzen verbessert haben. Ein großer Vorteil dieser neuen Substanzen besteht aber auch darin, dass man die Therapie individueller für den Patienten gestalten kann und auf Begleiterkrankungen oder bestimmte Lebensumstände des Patienten eingehen kann.

Hadjian: Meine Frau hat einen Knoten neben der Kniescheibe entdeckt. Soweit ich mich online informieren konnte, kann eine endgültige Diagnose nur durch einen Zellschnitt getroffen werden (Ganglion vs. Osteosarkom). Ich wollte mich informieren, wie der schnellste Diagnosepfad aussehen kann (ist der Besuch beim Hausarzt notwendig)?

DR. MED. HANS SALWENDER: Ja, bitte gehen Sie zu Ihrem Hausarzt. Wenn der Hausarzt den Befund bestätigt, wird er Ihnen eine Überweisung zur weiteren Diagnostik, z. B. Röntgen oder Gewebepunktion, ausstellen.

Roggenkamp: Velcade nützt bei mir nichts mehr. Bringt eine Dosiserhöhung evtl. noch einen Erfolg, doer doch lieber Umstieg auf eine neue Behandlung?

DR. MED. HANS SALWENDER: Das Problem bei Velcade besteht darin, dass mit steigender Dosierung das Risiko für eine unerwünschte Begleitreaktion steigt. Deshalb würde ich entweder die Therapie wechseln oder sie um ein weiteres Medikament ergänzen. Hierzu kommt eine ganze Reihe von verschiedenen mehr oder minder neuen Substanzen in Frage.

Weimar: Was ist KYPROLIS?

DR. MED. HANS SALWENDER: Kyprolis ist der Handelsname des Medikamentes Carfilzomib. Carfilzomib ist eine Weiterentwicklung des seit Jahren bekannten Bortezomib, welches weniger Polyneuropathie verursacht und in ersten Studien wirksamer war als Bortezomib.

_Tübingen_: Kann man durch Ernährung Einfluss auf die Krankheit nehmen?

DR. MED. HANS SALWENDER: Das ist relativ wenig mit Daten belegt. Natürlich ist eine gesunde Ernährung von Vorteil - mit und ohne multiples Myelom. Sie sollten sich ausgewogen ernähren und einige Vitamine zu sich nehmen, damit kein Mangel entsteht. Dass durch die Verabreichung irgendeines Nahrungsmittels im Übermaß ein Vorteil entsteht auf das multiple Myelom, ist nicht belegt. Wichtig ist aber, dass Sie sich ausreichend ernähren und nicht durch den Versuch, auf alles, was mutmaßlich schädlich sein könnte, zu verzichten, sich mangelhaft ernähren. Insbesondere unter der Therapie ist es sicherlich nicht sinnvoll, seinem Körper zusätzliche Gifte zuzuführen, wie z. B. größere Mengen Alkohol. Das größte Risiko zu versterben beim multiplen Myelom entsteht durch schwerwiegende Infektionen. Wenn Sie fortgesetzt rauchen, reduzieren Sie die Möglichkeit Ihres Körpers, sich vor Infektionen zu schützen. Zu guter Letzt besteht bei der Einnahme verschiedener Substanzen, insbesondere in großen Mengen, auch das Risiko, dass Sie sich einen Schaden zufügen. So ist z. B. beschrieben, dass größere Mengen grünen Tees die Wirksamkeit von Bortizomib, welches als eines der wirksamsten Medikamente gilt, aufheben können, d. h. Sie blockieren im schlimmsten Fall mit dem grünen Tee die Wirkung Ihrer Behandlung. Dies gilt insbesondere natürlich, wenn man grünen Tee und Bortizomib gleichzeitig verabreicht.

Marie.Ruhmor: Ich bin eine Zeit lang mit Cortison behandelt worden, als ich noch unter Beobachtung war und bevor die Chemo anfing. In der Zeit der Cortisonbehandlung habe ich DiabetesII bekommen. Mir wurde gesagt, das ginge wieder weg, wenn die regelmässigen Cortisongaben aufhören. Wie lange dauert das denn? Ich habe zuletzt Anfang des Jahres Cortison bekommen und bin immer noch insulinpflichtig. Ich habe kein Übergewicht!

DR. MED. HANS SALWENDER: Das ist sehr schwierig zu sagen, insbesondere nach dieser besonders langen Zeit. Denkbar ist, dass Sie vor Beginn der Cortisontherapie bereits eine Vorstufe des Diabetes hatten, die durch die vorübergehende Cortison-, oder besser gesagt Glucokortikoid-Therapie sichtbar wurde.

CorneliaSander: Stimmt es, dass man mehrere Stammzelltransplantationen bekommen kann?

DR. MED. HANS SALWENDER: Ja. Bei der Stammzellsammlung wird versucht, für mehrere Stammzelltransplantationen Stammzellen zu sammeln. Meist für zwei oder drei Transplantationen. Wenn man ausreichend Stammzellen gesammelt hat, sind auch entsprechend viele Transplantationen möglich. Der Nutzen der einzelnen Stammzelltransplantationen nimmt üblicherweise von Transplantation zu Transplantation ab. Dies liegt daran, dass die Behandlung nicht die Rückgabe Ihrer eigenen Stammzellen ist, sondern die Behandlung mit einer vorgeschalteten Hochdosis-Chemotherapie. Diese Chemotherapie ist meist auch bei wiederholten Transplantationen dieselbe, sprich, mit demselben Medikament. D. h., wenn Sie einen Rückfall haben nach der ersten Transplantation, dass die Zellen, die den Rückfall verursachen aber auch die erste Hochdosistherapie bereits überlebt haben, somit unempfindlicher sind gegen eine erneute Chemotherapie. Da aber die Belastung für den Patienten (ca. drei Wochen stationär und meist nochmals drei Monate mit verminderter Leistungsfähigkeit zu Hause) gleich bleibt, muss bei jeder erneuten Transplantation abgewogen werden, ob nicht eine alternative Therapie, mit z. B. einer der nun verfügbaren neuen Substanzen, zu bevorzugen ist. Dies bedeutet, dass grundsätzlich viele Transplantationen möglich sind, aber im Laufe der Zeit die Sinnhaftigkeit abnimmt, weswegen üblicherweise nur ein, zwei oder drei Transplantationen durchgeführt werden.

berlin: Diese Krankheit wird in manchen Registern als SELTENES LEIDEN bezeichnet. Bedeutet das, dass daran weniger geforscht wird?

DR. MED. HANS SALWENDER: Nein, an dieser Erkrankung wird sogar sehr intensiv geforscht. "Seltenes Leiden" bedeutet im Fall des multiplen Myeloms, dass pro Jahr "nur" ca. sechs von 100.000 Einwohnern erkranken. Mittlerweile ist diese Erkrankung aber gar nicht mehr so selten. Nicht, weil sie häufiger auftreten würde, sondern weil die Patienten mit dieser Erkrankung immer länger leben. Somit ist das Überleben mit dieser Erkrankung z. B. heute etwa viermal länger als noch vor 25 Jahren, d. h. heutzutage sind etwa viermal mehr Patienten mit dieser Erkrankung am Leben als noch vor 25 Jahren, auch wenn die Anzahl der jährlichen Neuerkrankung nicht wesentlich steigt.

Neva: Neva Was ist die Alternative zur Cortison-Behandlung? Uns hat keiner was gesagt, dass meine Mutter auch was gegen Osteoporose bekommen sollte und als ich das angesprochen habe, wurde ich abgebügelt. Zentrum wechseln geht nicht. Was sollen wir machen?

DR. MED. HANS SALWENDER: Die Cortison- oder besser Glucokortikoid-Behandlung ist ein wesentlicher Bestandteil der allermeisten Behandlungen des multiplen Myeloms. Die bekannteste Behandlung, die auf Glucokortikoide verzichtet, ist die Hochdosis-Behandlung mit Stammzelltransplantation. Aber auch hier wird üblicherweise in den drei Monaten der Vorbereitung z. B. das Glucokortikoid Dexamethason verwendet. Es gibt allerdings verschiedene Glucokortikoide mit unterschiedlichem Muster unerwünschter Begleitphänome. Eine dieser Begleiterscheinung der Glucokortikoidtherapie ist die Osteoporose. Die Osteoporose wird u. a. behandelt mit Bisphosphonaten, welche Sie auch zur Behandlung des multiplen Myeloms - höchstwahrscheinlich - erhalten. Die Osteoporose wird darüber hinaus behandelt mit Vitamin D und Calcium (z. B. in Form von Milchprodukten). In bestimmten Situationen, insbesondere wenn es zu einer Nierenfunktionseinschränkung kommt, insbesondere wenn das multiple Myelom wieder aktiver ist, kann es aber sein, dass durch die zusätzliche Einnahme von Vitamin D und Calcium der Calciumwert im Blut über den Normalwert steigt und damit gefährlich werden kann, weswegen eine Behandlung mit Vitamin D und Calcium mit Vorsicht durchzuführen ist. Diese Punkte sind gegeneinander abzuwägen.

Kunis: Bei meiner Schwester wurde ein Multiples Myelom im Stadium IIA diagnostiziert. Das klingt zunächst nicht ganz so dramatisch. Was uns aber sehr beunruhigt die bösartigen Plasmazellen bereits 30-40% vom Knochenmark darstellen sollen. Ich habe mir nur Fachwissen angelesen, aber ist dieses Verhältnis überhaupt möglich im Stadium IIA?

DR. MED. HANS SALWENDER: Ja, diese Menge an Plasmazellen ist in diesem Stadium nicht untypisch. Die Stadieneinteilung nach Durie und Salmon mit den Stadien I, II und III haben wir seit einigen Jahren verlassen, auch wenn sie in einigen Arztbriefen noch erwähnt wird. Die Behandlungsbedürftigkeit hängt heutzutage ab von Knochenschädigung, Einschränkung der Blutbildung und Nierenfunktionsstörung. Diese waren auch die Grundlagen der oben genannten Stadieneinteilung. Eine Behandlungsbedürftigkeit besteht z. B., wenn der Hämoglobinwert weit unterhalb des Normalwertes liegt. Dies ist Ausdruck einer Verdrängung der normalen Blutbildung im Knochenmark durch die kranken Plasmazellen. Ein Anteil von Plasmazellen von 30 bis 40 % bedeutet aber, dass noch 60 bis 70 % der Zellen im Knochenmark normale Blutbildung sind und somit möglicherweise noch eine ausreichende Blutbildung besteht. Es ist somit weniger das Stadium, sondern der konkrete Hämoglobinwert Ihrer Schwester relevant. Liegt dieser z. B. unter 10 g/dl, besteht Behandlungsbedürftigkeit. Andererseits bedeutet ein Plasmazellanteil von 30 bis 40 % nicht, dass dieser in wenigen Monaten auf 70 bis 80 % angestiegen sein muss. Auch ein Plasmazellanteil von 40 % kann über einen längeren Zeitraum stabil bleiben und es kann sein, dass sogar über mehrere Jahre keine Behandlungsbedürftigkeit besteht. Wie gesagt, beziehen wir deshalb die Behandlungsbedürftigkeit heute nicht (oder nicht nur) aus dem Anteil der Plasmazellen im Knochenmark, sondern ganz überwiegend vom Hämoglobinwert im Blut.

Socke: Was sind diskrete mesangiale Ablagerungen von IgM, IgA, IgG, C3 Komplement? Was bedeutet in diesem Zusammenhang Fibrinogen/Fibrin glomerulär jeweils negativ?

DR. MED. HANS SALWENDER: Hierbei handelt es sich um bestimmte Eiweißablagerungen in der Niere, die der Pathologe nach der Nierenpunktion feststellt. Die Behandlungsbedürftigkeit beim multiplen Myelom besteht u. a. aufgrund der Nierenfunktionseinschränkung. Aber nur, wenn diese Nierenfunktionseinschränkung entstand auf dem Boden  des multiplen Myeloms. D. h., auch Patienten mit einem multiplen Myelom können vom MM unabhängige Ursachen für eine Nierenfunktionsstörung haben. Z. B. kann auch ein Patient mit einem MM einen Diabetes Mellitus oder einen Bluthochdruck haben, welche beide auch eine Nierenfunktionsstörung verursachen können. Damit man dann aber nicht das MM behandelt, in der irrigen Annahme, etwas Gutes für die Niere zu tun, weil in Wirklichkeit der hohe Blutdruck die Niere geschädigt hat, ist insbesondere bei nur geringen so genannten Leichtkettenwerten eine Nierenpunktion sinnvoll zur Unterscheidung, was die Ursache der Nierenfunktionsstörung ist. Hierbei finden sich z. B. verschiedene entzündliche Prozesse der Niere, die aber nicht das typische Bild des Nierenbefalls beim MM darstellen. Beim MM findet man typischerweise eine Verstopfung der Niere, mit den im Übermaß produzierten so genannten Leichtketten.

Bruno Kemmer: BrunoKemmer Mein Bruder ist im Stadium III hat die Chemo hinter sich und soll in Kürze eine Stammzelltransplantation bekommen. Ist das das Gleiche, wie eine Knochenmark-Transplantation? Darüber habe ich ganz schreckliche Dinge gehört, wie ungeheuer belastend das ist. lebt man damit so viel länger? Ich frage mich, ob es nicht eine andere Therapieform gibt, die ähnlich erfolgreich ist, aber bei höherer Lebensqualität?

DR. MED. HANS SALWENDER: Tatsächlich muss man hier zwei komplett unterschiedliche Behandlungen unterscheiden. Früher entnahm man den Patienten ihr eigenes Knochenmark, verabreichte eine Hochdosis-Chemotherapie und führte das eigene Knochenmark dem Patienten zurück. Dieses Verfahren wurde bereits vor ca. 20 Jahren abgelöst durch die Transplantation von so genannten peripheren Blutstammzellen. Diese Stammzellen, welche üblicherweise im Knochenmark leben, können nach einer bestimmten Vorbehandlung relativ einfach aus dem Venenblut entnommen werden. Bei der Behandlung mit eigenen Stammzellen, bei der so genannten autologen Stammzelltransplantation, werden heutzutage praktisch in 100 % der Fälle Stammzellen aus dem Venenblut verwandt. Bei der Transplantation von fremden Stammzellen von einem Spender werden in einigen Fällen die Stammzellen aber noch aus dem Knochenmark gewonnen. Grundsätzlich handelt es sich dabei um dieselben Stammzellen. Den Begriff Knochenmarktransplantation verwenden wir heutzutage aber eigentlich nur noch für diese Fremdspendertransplantation, die so genannte allogene Stammzelltransplantation. Diese beiden Behandlungen sind, trotz der auf den ersten Blick Namensgleichkeit (da man auch die Fremdspendertransplantation als Stammzelltransplantation bezeichnen kann), zwei komplett unterschiedliche Therapieverfahren. Bei der Transplantation eigener Stammzellen entsteht die Wirkung der Behandlung zu 100 % durch die zwischen Entnahme und Rückgabe der Stammzelle verabreichte Hochdosis-Chemotherapie. Die verabreichten eigenen Stammzellen dienen einzig und allein dem Zwecke, die Blutbildung, die unter der Hochdosis-Chemotherapie zerstört wird, wieder herzustellen. Das Risiko, an dieser Behandlung zu versterben, beträgt in großen Zentren unter einem Prozent. Bei der Fremdspendertransplantation wird zusätzlich zum Effekt der Chemotherapie ein fremdes Immunsystem zusammen mit den Stammzellen transplantiert, welches anschließend zusätzlich das multiple Myelom des Patienten bekämpft. Leider ist dieses Immunsystem nicht spezifisch, so werden auch andere Organe des Patienten durch das fremde transplantierte Immunsystem bekämpft. Hier sind insbesondere die Haut, die Leber und der Darm in Gefahr. Deshalb beträgt das Risiko, an dieser Behandlung zu versterben, ca. 10 bis 15 %, obwohl die Patienten, die eine Fremdspendertransplantation erhalten, im Durchschnitt einige Jahre jünger sind, als die Patienten, die eine Eigentransplantation erhalten.

Dietze: Das ist eine Krankheit, die nicht so häufig auftritt, aber trotzdem hört man immer öfter davon. Was ich nicht verstehe ist, dass recht wenige Informationen im Internet sind. Woran liegt das? Wir haben so viele Fragen, für die in den Besprechungen mit dem Arzt meines Vaters offenbar keine Zeit ist, aber auf die wir Antworten suchen. Wo kann ich mich informieren?

DR. MED. HANS SALWENDER: Im Internet stehen unterschiedliche Informationen von verschiedenen Gruppen. Hier sind insbesondere auch die Selbsthilfegruppen zu erwähnen. Zu diesen könnten Sie auch Kontakt aufnehmen, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen. Viele Patienten in diesen Selbsthilfegruppen haben bereits viele Jahre Erfahrung mit ihrer Erkrankung und können Ihnen auch weiterhelfen. Informationen im Internet sind leider nicht immer ganz aktuell, da es natürlich eine gewisse Arbeit erfordert, diese Informationen zu erneuern. Dies ist insbesondere in den letzten ein bis zwei Jahren schwieriger geworden, weil unser Wissen um die Behandlung dieser Erkrankung rasant zunimmt. Persönlich glaube ich, ist es am sinnvollsten, wenn Sie Kontakt aufnehmen zu einem der großen Spezialzentren, die es in Deutschland gibt, in denen meist auch spezielle Myelomsprechstunden existieren, die auch so genannte Zweitmeinungen anbieten. Bei der Auswahl dieser Zentren, insbesonders, welches Zentrum sich in Ihrer Nähe befindet (ich kenne leider Ihren Wohnort nicht), können Ihnen aus meiner Erfahrung wiederum recht gut die Selbsthilfegruppen behilflich sein. Die Adressen dieser Gruppen finden Sie im Internet.

DR. MED. HANS SALWENDER: Ich danke allen Teilnehmern dieser Sprechstunde für die zahlreichen interessanten Fragen und die rege Teilnahme. Abschließend wünsche ich Ihnen nun einen angenehmen Abend.



Ende der Sprechstunde.