Diagnose: Multiples Myelom - welche Möglichkeiten gibt es?

Dr. med. Hans Salwender
Leitender Oberarzt
Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin

Asklepios Klinik Altona
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Akademisches Lehrkrankenhaus der Universität Hamburg

PROTOKOLL

Diagnose: Multiples Myelom - welche Möglichkeiten gibt es?

DR. MED. SALWENDER: Wir beginnen um 19:05 Uhr.

DR. MED. SALWENDER: Wegen einer Bombenentschärfung in unmittelbarer Nähe unserer Büroräume beginnen wir mit ein paar Minuten Verspätung. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Elli: Diagnose MM in Verbindung mit Amyloidose der Leber 2012, es folgten 2x autologe Stammzelltransplantion in 2012, derzeit partielle Remission, Bin seit 2013 wieder Vollzeit am arbeiten. Ich bin nach wie vor dermaßen müde und kaputt. Welche Möglichkeiten gibt es?

DR. MED. SALWENDER: Die Beantwortung dieser Frage ist etwas umfangreicher. Zunächst müsste man die Organfunktion überprüfen, wie z. B. die Herz- und Leberfunktion. Sollte sich hierbei eine normale Organfunktion zeigen, wären zunächst Versuche mit leichter sportlicher Betätigung und Ausdauertraining hilfreich. Darüber hinaus ist eine weitestgehende Remission der Erkrankung anzustreben.

Emi: Wie geht man in Deutschland mit der Stammzellenernte vor einer Hochdosischemo mit Transplantation um? Können alle geernteten Stammzellen aufbewahrt werden für zukünftig anstehende Transplantationen? Oder ist das tatsächlich ein finanzielles Problem und es werden nur Zellen für zwei Transplantationen gesichert?

DR. MED. SALWENDER: Das ist nicht ganz einheitlich geregelt. Tatsächlich ist für die kostenintensive Lagerung der Stammzellen keine Vergütung durch die Krankenkassen vorgesehen.

Wir streben bei jüngeren Patienten insbesondere die Sammlung von drei Präparaten an.

Grundsätzlich muss man meines Erachtens abschätzen, wie wahrscheinlich es sein wird, dass alle Stammzellpräparate zum Einsatz kommen oder ob der Patient ohnehin, z. B. aufgrund des Alters, ebenso gut mit einer konventionellen Therapie behandelt werden kann.

rika: Was genau ist ein Multiples Myelom?

DR. MED. SALWENDER: Ein Multiples Myelom ist eine Erkrankung des Immunsystems - im Speziellen der Plasmazellen. Diese Plasmazellen nehmen im Laufe  der Erkrankung an Zahl zu und können durch Verdrängung die Blutbildung oder den Knochen schädigen und bei einigen Patienten durch die Produktion eines speziellen Eiweißes - der so genannten Leichtketten - die Niere schädigen. Wir unterscheiden hierbei eine formal bereits bösartige Vorstufe, bei der es zunächst zu keinen Organschäden kommt und deshalb auch zunächst nicht behandelt wird. Diese Vorstufe nennen wir das Smouldering Myelom. In dieser Stufe können die Patienten, wohlgemerkt ohne Therapie, teilweise jahrelang verharren. Das Multiple Myelom oder auch das symtomatische Multiple Myelom bezeichnet die Krankheitsphase, in der die oben genannten Organschäden eintreten und der Patient deshalb eine Behandlung benötigt.

Donald: Ich wäre sehr dankbar, wenn der Experte mir erklären könnte, was folgendes heißt und mir auch eine Einschätzung geben könnte: Geringgradige glomeruläre und präglomerulär-vaskuläre Amyloidose vom Leichtkettentyp Lambda. Geringgradie kleinherdige Tubulusatrophie und interstitielle Fibrose. Es finden sich keine Hinweise für eine Glomerulonephritis, Leichtketten-Lomerulopathie und auch nicht für einen tubulointerstitiellen Leichtkettenschaden. Vielen Dank für Ihre Hilfe.

DR. MED. SALWENDER: Beim Multiplen Myelom gibt es ganz unterschiedliche Formen der Nierenschädigung. Die typische Schädigung der Nieren beim Multiplen Myelom entsteht dadurch, dass die erkrankten Plasmazellen, so genannte Leichtketten, in Überschuss produzieren, diese über die Niere ausgeschieden werden aber hierbei die Nierentubulie verstopfen. Dies ist ein reines Mengenproblem, sprich, je höher die Leichtkettenmenge im Blut, umso höher das Risiko, dieser "Verstopfung" der Niere. Beschleunigt werden kann dieser Prozess durch weitere schädigende Einflüsse auf die Nieren, wie z. B. ein Flüssigkeitsmangel des Körpers, z. B. durch Fieber aber auch durch einen erhöhten Kalziumwert im Blut, welcher bei MM zeitweilig vorkommt, aber auch durch die Einnahme bestimmter Schmerzmittel oder Röntgenkontrastmittel. Daneben gibt es aber auch andere seltenere Arten der Nierenschädigung, wie z. B. eine Ablagerung von Amyloid, welches weniger die Entgiftungsfunktion der Niere schädigt, sondern eher dazu führt, dass vermehrt Albumin, ein wichtiges Bluteiweiß, über die Niere verloren geht. Darüber hinaus gibt es weitere, noch seltenere, Formen der Nierenschädigung beim MM. Davon abgesehen können selbstverständlich auch bei MM-Patienten alle Formen der Nierenschädigung auftreten, die auch bei Patienten ohne MM auftreten, wie z. B. die in dem pathologischen Befund, den Sie zitieren, Glomerulonephritis. Z. B. können Nierenschäden bei Patienten mit einem MM bestehen, wenn gleichzeitig ein Bluthochdruck oder eine Zuckerkrankheit besteht. Diese gilt es zu unterscheiden, da davon abhängt, ob zunächst die, z. B. Blutzuckererkrankheit besser behandelt werden sollte oder kurzfristig eine Behandlung des MM von Nöten ist.

Mulis: Mein Bruder war 5 Jahre in den USA und hat dort gearbeitet. Glücklicherweise war und ist er sehr gut krankenversichert, denn er bekam dort einen Rückfall (Multiples Myelom). Glück im Unglück, er bekam ein neues Kombinations-Medikament, das gut wirkte. Vor einem Jahr kam er nach Deutschland zurück. Ich will meinen Bruder nicht aufregen und mag ihn nicht fragen nach der genauen Bezeichnung, aber seither gucke ich in Abständen, ob es neue Therapien beim Multiplen Myelom auch in Deutschland gibt. Ich kann bisher nichts finden. Wir würden natürlich auch in die USA fliegen im Ernstfall, aber werden Krebsmedikamente nicht eigentlich weltweit zugelassen?

DR. MED. SALWENDER: Tatsächlich werden eine Reihe von Medikamenten in Deutschland bzw. der EU später zugelassen als in den USA, da in Deutschland ein höherer Anspruch an die Daten gestellt wird, die zur Zulassung führen. Nichts desto trotz ist in den letzten Monaten eine ganze Reihe neuer Substanzen auch in Deutschland zugelassen worden. Beginnend mit Pomalidomid vor gut zwei Jahren, Panobinostat vor wenigen Monaten sowie Carfilzomib vor wenigen Tagen. Darüber hinaus sind viele der noch nicht in Deutschland zugelassenen Medikamente in Studien verfügbar oder teilweise für Patienten, die keine anderen Behandlungsoptionen mehr haben mit Zustimmung der Krankenkasse aus den USA beziehbar. Eine Lanze möchte ich dennoch für das in Deutschland gültige Zulassungsverfahren brechen, da sich manchmal in den in Deutschland geforderten größeren Studien die Hoffnung aus kleineren früheren Studien nicht bestätigen. Insgesamt muss man sagen, dass wir gerade in 2015 nahezu eine Verdoppelung unserer therapeutischen Möglichkeiten sehen - auch in Deutschland.

Para: Mein Vater ist seit 2011 MM-Patient, hatte die üblichen Behandlungen, dann 2 Jahre Ruhe und jetzt einen Rückfall. Die ganze Familie ist alarmiert, aber er ist relativ gelassen und behauptet, das sei bei der Erkrankung nichts Besonderes. Da waren wir sprachlos. Redet er sich da was ein, oder ist das wirklich so. Wir hatten gehofft, dass er geheilt werden kann. Steht das denn gar nicht zur Diskussion?

DR. MED. SALWENDER: Aus einer alten Studie aus Spanien, die Patienten untersuchte, die Anfang der 90er behandelt wurden, wissen wir, dass einige Patienten auch nach dieser langen Zeit keinen Rückfall erlitten haben. Somit aller Wahrscheinlichkeit nach geheilt sind. Dies war bereits möglich, bevor die ganzen so genannten neuen Substanzen, wie z. B. Lenalidomid und Bortezomib, verfügbar waren. Wir glauben, dass heutzutage ein relevanter Anteil der Patienten keinen Rückfall mehr erlebt. Wie groß dieser Anteil ist, können wir aber leider erst in zwanzig Jahren sagen. Vermutlich handelt es sich bei den allermeisten Patienten mit einem MM eher um eine chronische Erkrankung, die genauso unheilbar ist, wie z. B. Bluthochdruck oder die Blutzuckerkrankheit.

Wie auch diese erfordert das MM bei den meisten Patienten immer wieder eine Therapie.

Die Hochdosis Melphalan-Therapie mit autologer Stammzelltransplantation hat den Sinn, nach  der Verabreichung einer sehr hohen Dosis Chemotherapie dem Patienten eine möglichst mehrjährige Krankheitsfreiheit ohne Therapie zu verschaffen. Tatsächlich haben wir aber auch bereits heutzutage für die Behandlung des Rückfalls mehr als zehn verschiedene Behandlungsmöglichkeiten, die wir individuell für den Patienten unter Berücksichtigung seines Alters, seiner Begleiterkrankung und der Lebensqualität einsetzen können.

Wolfgang_Bayern: Ist KYPROLIS (Carfilzomib) ein neuartiges Medikament? Kann ich damit in Deutschland behandelt werden?

DR. MED. SALWENDER:

Carfilzomib wird bereits seit wenigen Jahren in den USA eingesetzt aber auch in Deutschland innerhalb von Studien oder als Einzelbestellung mit Billigung der Kassen verwendet. Vor wenigen Wochen wurde dieses Medikament nun auch in Deutschland zugelassen zur Behandlung von Patienten mit dem ersten bis dritten Rückfall in Kombination mit Lenalidomid und Dexamethason. Somit können Sie mit dieser Kombination tatsächlich ab nächster Woche ganz regulär auch in Deutschland behandelt werden.

Christian E.: Hallo Herr Dr. Salwender, hier meine Frage: Wie ist Ihre Meinung zu einer Erhaltungstherapie nach erfolgreicher (CR bzw. VGPR) HD Therapie mit SZ Transplantation? Sollte man das Myelom lieber "in Ruhe" lassen, solange kein Rezidiv auftritt oder (im Rahmen von Studien) eine Erhaltungstherapie anwenden? Vielen Dank und freundliche Grüße C. Eichhorn

DR. MED. SALWENDER: Lieber Herr Eichhorn, Sie weisen ja selbst bereits auf den Einsatz innerhalb von Studien hin. Meines Wissens erhalten derzeit alle Patienten innerhalb von Studien eine Erhaltungstherapie. Viele Studien haben gezeigt, dass eine Erhaltungstherapie in der Lage ist, den Rückfall um eineinhalb Jahre und mehr zu verzögern. Andererseits hat nur der geringste Teil der Studien auch einen Vorteil für das Gesamtüberleben erbracht. Somit stellt sich tatsächlich die Frage, ob man die ersten Jahre nach der Hochdosistherapie eine Therapie einsetzen sollte mit all ihren Nachteilen oder abwarten sollte bis zum Zeitpunkt des Rückfalls. Dies gilt es gegeneinander abzuwägen. Wichtig ist bei dem zweitgenannten Vorgehen, eine regelmäßige Kontrolle, damit bei erneutem Aufflammen der Erkrankung keine erneuten Schäden z. B. an Knochen oder Nieren entstehen. Sehr gut kann ich mir eine Erhaltungstherapie vorstellen, die den Patienten nicht beeinträchtigt und ihn nicht gefährdet. Da derzeit in Deutschland keine Erhaltungstherapie zugelassen ist und eine Erhaltungstherapie z. B. mit Lenalidomid sehr teuer wäre, stellt sich möglicherweise die Frage nach einer Behandlung außerhalb von Studien nicht. Ich erwarte die Zulassung einer Erhaltungstherapie nach Hochdosis-Chemo im nächsten Jahr. Zu diesem Zeitpunkt könnten wir diese Behandlung anbieten und müssten dann das oben genannte Für und Wider mit dem Patienten diskutieren.

Samper: Vom M-Mylom wissen wir, dass es besonders die Knochen angreift. Das ist schlimm genug. Aber bei der Suche nach sinnvollen Informationen für meinen Bruder stoße ich immer öfter auf die Möglichkeit von Hirntumoren. Das macht mich schreckensstarr. Hat Dr. Salwender Erkenntnisse darüber, warum die Krankheit in manchen Fällen ins Gehirn geht? Unter welchen Vorbedingungen?

DR. MED. SALWENDER: In sehr sehr seltenen Fällen kann das Multiple Myelom, meist im weiteren Verlauf der Erkrankung, möglicherweise, weil das MM "verwildert", seine Bindung zum Knochen verlieren. Dann finden sich Absiedlungen wie Sie sagen, z. B. im zentralen Nervensystem aber auch in der Leber, der Lunge oder der Haut. Diese Myelome, die, um es nochmals zu betonen, selten sind, zeigen meist ein aggressives Verhalten und lassen sich meist schwer therapeutisch beeinflussen. Um es nochmals zu sagen, meist liegt eine lange bestehende Vorerkrankung vor, bei Patienten, die schon eine ganze Reihe von Vortherapien hatten.

Debowsky: Beginn 2008, Alter damals 62, Diagnose MM Stadium III B, IgA, Velcade brachte nur kurzfristig was. Wieder Velcade, dieses Mal Volltreffer seither "gesund", wie die Ärzte das so nett formulieren. Am Ende zählt nur was hilft, aber warum ist es einmal nur begrenzt erfolgreich und jetzt schon so viele Jahre. Nur zu meiner Beruhigung: falls ich wieder einen Rückfall bekomme, nimmt man dann zum dritten Mal die gleiche Therapie, oder wie geht das?

DR. MED. SALWENDER: Grundsätzlich ist das nicht der typische Verlauf. Tatsächlich ist bei Erstbehandlungen mit einem besseren und länger andauernden Ansprechen zu rechnen. Wenn die Therapie beim ersten Mal in gleicher Form durchgeführt wurde, in gleicher Kombination mit Dexamethason oder anderen wie bei der zweiten Therapie, sind Sie offensichtlich der lebende Beweis, dass man den Therapieerfolg schlecht voraussagen kann. Die Begründung, warum nach vorangegangenem Therapieversagen eine Therapie wieder wirken kann, ist dass sich bei einem MM nicht alle Plasmazellen gleich verhalten. So kann es sein, dass bei einem Rückfall Zellen wachsen, die nicht auf Bortezomib bzw. Velcade ansprechen, jedoch bei einem weiteren Rückfall die dann sich vermehrenden Zellen wieder auf Bortezomib ansprechen. Das bezeichnen wir als klonale Verschiebung. Im Prinzip muss man sich das vorstellen, wie verschiedene Äste eines Baumes, die unterschiedlich stark und intensiv nachwachsen. Tatsächlich ist es so, dass man nicht sagen kann, wenn die Erkrankung einmal schlechter auf eine Therapie angesprochen hat, dass sie niemals wieder auf diese Therapie ansprechen wird. Dennoch würden wir im Rückfall, insbesondere wenn die Remission nur kurz angehalten hat, die Therapie wechseln oder sie mit anderen Substanzen, z. B. einer niedrig bis mittelhoch dosierten Chemotherapie kombinieren. Sollten Sie also irgendwann wieder einen Rückfall bekommen, die rückfallfreie Zeit z. B. sechs, besser zwölf Monate bestanden hat und Sie die Therapie gut vertragen haben, dann spräche nichts gegen den neuerlichen Einsatz dieser Therapie.

Barbara Müller: Mein Mann hat nur 5 Monaten nach Autologer T. ein Rezidiv in den Weichteilen. Nun hat er seit über 4 Wochen Tumorfieber (andere Möglichkeiten wurden ausgeschlossen). Zur Zt. läuft der 1. Chemozyklus, 96 h Doxorubicin, 21 Tage Revlimid und an einigen Tagen Dexa. Trotzdem hat sich das Fieber davon nicht beeindrucken lassen. Wie lange dauert die Wirkung einer Therapie, die dann auch das Tumorfieber senkt? bzw. was kann man noch gegen dieses B-Fiber tun, das ja den Körper zusätzlich schwächt. Herzlichen Dank, die sehr besorgte Ehefrau

DR. MED. SALWENDER: Wenn es sich um so genanntes Tumorfieber handelt und die Therapie gut anschlägt, sollte das Fieber auch relativ schnell verschwinden. Wenn es das nicht tut, würde ich erneut eine infektiöse Fieberursache suchen, auch unter Einsatz einer Computertomographie des Brustkorbs. Je nach Verlaufsparameter bzw. je nach dem betroffenen Eiweiß, welches das MM Ihres Mannes kennzeichnet, sollte dies in kürzeren Abständen kontrolliert werden, um zu sehen, ob die Erkrankung wie erhofft anspricht, damit man die Therapie bei Nichtansprechen rasch umsetzen kann, damit Ihr Gatte nicht weiter unter dieser Begleiterscheinung leidet. Insbesondere da die RAD-Therapie, die er erhält relativ intensiv ist.

jWetzel_B: Trotz autologer HD geht die Krankheit weiter. Kann daraus eine "normale" chronische Erkrankung werden, wie uns gesagt wurde? Es ist und bleibt aber eine Krebserkrankung. Wie geht es weiter?

DR. MED. SALWENDER: Zunächst möchte ich sagen, dass "chronische Erkrankungen" und "Krebserkrankungen" im Falle des MMs kein Widerspruch sein müssen. Obgleich in Deutschland der Begriff "Krebs" schlimme Emotionen auslöst, kennen wir eine ganze Reihe von Patienten, deren Erkrankung nie ganz verschwunden war, sie aber dennoch ein einigermaßen normales Leben führen konnten, bis sie nach vielen Jahren an einer ganz anderen Ursache verstorben sind. Natürlich würde man sich wünschen, dass man nach der Hochdosistherapie mit autologer Transplantation mehrere Jahre, am besten viele Jahre, krankheitsfrei ist. Wenn man das nicht hoffen würde, würde man den Patienten nicht den Aufwand, der mit der Transplantation verbunden ist, zumuten. Grundsätzlich kann man aber nicht aus einer kurzen krankheitsfreien Zeit schließen, dass alle weiteren Therapien ebenfalls wenig Erfolg haben. Z. B. möchte ich über einen Patienten berichten, den ich vor ca. 20 Jahren transplantiert habe, der daraufhin nach wenigen Jahren einen Rückfall erlitt und den wir anschließend mit Thalidomid Tabletten über zehn Jahre behandeln konnten, bis er dann mit ca. Anfang achtzig an einer ganz anderen Tumorerkrankung verstarb. Dies Vorgenannte gilt um so mehr, da wir seit einigen Monaten eine große Zahl neuer Substanzen an die Hand bekamen mit teilweise unterschiedlichem Wirkmechanismus.

CLaustro: Wie hoch ist der genetische Anteil an einer multiplen Myelom-Erkrankung? Mein Vater hatte ein M M, wie gefährdet bin ich, meine Geschwister? Gibt es eine männlich oder weibliche Linie?

DR. MED. SALWENDER: Das MM wird nach heutigem Wissen nicht einfach vererbt, wie z. B. die Haarfarbe oder sonstiges. Es ist wohl eher die Veranlagung hierzu, die vererbt wird. Somit kann man nicht sagen, dass z. B. 25 % der Töchter ein MM erleiden werden, sondern nur, dass das Risiko für ein MM oder eine ähnliche Erkrankung bei nahen Verwandten erhöht ist. Insgesamt handelt sich jedoch auch bei diesen nahen Verwandten immer noch um eine seltene Erkrankung, die die allermeisten Verwandten NICHT erleiden werden. Somit ist bisher auch keine regelmäßige Kontrolle hierfür vorgesehen. Es ist allerdings sicherlich verständlich, dass wenn ein Kind eines MM Patienten in späteren Lebensjahren Schmerzen im Skelettsystem entwickelt, dieser Sohn oder diese Tochter den behandelnden Arzt ermuntern wird, auch nach einem MM zu sehen.

Schmidthuber: Krankheiten sind ja in der Regel in unterschiedliche Verlaufsstadien eingeteilt. Das habe ich recherchiert. Was ich nicht finden kann sind ausreichende Hinweise, wie mögliche Zeitspannen zwischen den einzelnen Stadien sein können. Wie schnell schreitet diese unsägliche Krankheit fort?

DR. MED. SALWENDER: Das Multiple Myelom entsteht aus einem Immunsystem, welches an einer Stelle eine Fehlentwicklung zeigt. Normalerweise sind die Zellen eines Immunsystems alle unterschiedlich. An einer Stelle beginnt nun eine Zelle Tochterzellen zu produzieren, die alle gleich aussehen und meistens dasselbe Eiweiß produzieren, z. B. Immunglobulin G. Zu diesem Zeitpunkt ist nicht klar, was jemals aus diesen Zellen wird, bzw. ob diese Zellen jemals bösartig werden. Vergleichbar ist diese Situation, z. B. einem Leberfleck, bei dem sich vermehrt Zellen zeigen, die braunen Farbstoff produzieren im Vergleich zur Umgebung. Rein theroretisch kann sich hier hinter auch ein Hautkrebs verbergen. 

Zu diesem Zeitpunkt nennen wir die Erkrankung MGUS Monoklonale Gammopathie unklarer Signifikanz. Das bedeutet, dass bereits im Namen dieser Veränderung darauf hingewiesen wird, dass wir nicht wissen, ob sie überhaupt irgendeinen Krankheitswert hat. Diese Veränderung haben etwas 5 % der älteren Menschen. Bei 1 % dieser Menschen pro Jahr vermehren sich diese Zellen weiter, bis über 10 % der Plasmazellen im Knochenmark diesem einen Klon entsprechen. Ab diesem Zeitpunkt nennen wir die Erkrankung asymptomatisches oder englisch smouldering Multiples Myelom. Zu diesem Zeitpunkt richtet die Erkrankung jedoch keinen Schaden an. 10 % ca. der Patienten mit diesem smouldering Multiplen Myelom erleiden pro Jahr Schäden an Blutbildung, Nieren oder Knochen. Zu diesem Zeitpunkt nennen wir die Erkrankung (symptomatisches) Multiples Myelom. Bis vor zehn Jahren fasste man smouldering Multiples Myelom und Multiples Myelom zusammen und unterteilte diese in Stadium I, II und III. Der Patient im Stadium I wurde damit konfrontiert, dass er "Krebs" hat und bei dem Patienten im Stadium III lag für ihn vermeindlich das Endstadium dieser Erkrankung vor. Heutzutage sehen wir das ganze etwas anders. Dass nämlich die bösartige Erkrankung mit Behandlungsbedürftigkeit Multiples Myelom genannt wird, welche dem früheren Stadium III im Wesentlichen entspricht und auf der anderen Seite das smouldering Multiple Myelom, welches zwar biologisch formal die Kriterien der Bösartigkeit in sich birgt, jedoch für den Patienten in aller Regel nicht beeinträchtigend ist. Man könnte diese Erkrankung auch eher als Vorstufe verstehen, welche einzig und allein einer regelmäßigen bzw. häufigeren Kontrolle bedarf. An einem Beispiel möchte ich es vielleicht noch deutlicher machen. Eine meiner Patientinnen hat seit ca. 20 Jahren einen smouldering Multiples Myelom und ist bis zum heutigen Tag nie behandelt worden. Ich bin mir sicher, dass die allermeisten Menschen das nicht für den typischen Verlauf einer bösartigen Erkrankung halten werden. Alles in allem muss man sagen, dass von den ersten Anfängen der Vermehrung dieses Eiweißes im Blut bis zur vollständig ausgebrochenen Erkrankung Jahrzehnte vergehen können bzw. die allermeisten Patienten mit alleinigen Auffälligkeiten in den Bluteiweißen nie ein behandlungsbedürftiges MM erleiden werden. Das große Problem beim MM ist, dass die Symptome so unspezifisch sind. Die Blutarmut geht einher mit Schwäche und Abgeschlagenheit, Müdigkeit und Leistungsmangel. Der Knochenbefall verursache Schmerzen am Skelettsystem, meist in der Wirbelsäule. Das Durchschnittsalter der Patienten beträgt ca. 70 Jahre. Ein 70-jähriger Mann mit Rückenschmerzen und Kurzluftigkeit beim Treppensteigen wird sicherlich nicht zuerst auf eine multiples Myelom hin untersucht werden, sondern eher auf eine Herz-Lungen- Erkrankung bzw. Verschleißerscheinung der Wirbelsäule, da diese ca. 1.000 Mal häufiger sind als das Multiple Myelom, welches ca. bei sechs von 100.000 Einwohnern pro Jahr auftritt.

DR. MED. SALWENDER: Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern dieser Sprechstunde für die rege Teilnahme und die vielen interessanten Fragen. Leider konnten wir in der Kürze der Zeit nicht alle Fragen beantworten, würden uns jedoch freuen, Sie in einer nächsten Sprechstunde zu diesem Thema wieder begrüßen zu dürfen. Ich wünsche Ihnen noch einen angenehmen Abend und verabschiede mich vorerst von Ihnen.



Ende der Sprechstunde.