Was ist ein Multiples Myelom - wie kann es behandelt werden?

Dr. med. Hans Salwender
Leitender Oberarzt
Hämatologie, internistische Onkologie und Palliativmedizin

Asklepios Klinik Altona
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PROTOKOLL

Was ist ein Multiples Myelom - wie kann es behandelt werden?

EINFÜHRUNG: Das Multiple Myelom ist eine Krebserkrankung des Knochenmarks. Sie ist gekennzeichnet durch bösartige Vermehrung Antikörper-produzierender Zellen, der Plasmazellen. Die entarteten Plasmazellen produzieren in der Regel Antikörper oder Bruchstücke davon. Da alle malignen Plasmazellen von einer gemeinsamen Vorläuferzelle abstammen, sind sie genetisch identisch (Zellklon) und produzieren identische (= monoklonale) Antikörper. Das Ausmaß der Bösartigkeit (der Grad der Malignität) kann sehr unterschiedlich sein und reicht von Krebsvorstufen über nur langsam voranschreitende Krankheitsverläufe bis zu hochmalignen, ohne Behandlung schnell zum Tod führenden Erkrankungen. Krankheitssymptome entstehen entweder durch das bösartige Wachstum der Plasmazellen oder durch die Eigenschaften der gebildeten Antikörper oder Antikörperbruchstücke. Das Wachstum der Plasmazellen führt zu Knochenschmerzen und Auflösung der Knochen bis zu spontanen Knochenbrüchen, Anstieg des aus dem Knochen gelösten Calciums im Blut und Abnahme der im Knochenmark gebildeten roten Blutkörperchen. Die im Übermaß produzierten und oftmals abnormalen Antikörper können durch Ablagerung im Gewebe zu Funktionsstörungen vieler Organe, zu Nierenversagen und zur Beeinträchtigung der Durchblutung führen. Die Diagnose wird durch Blutuntersuchung, Röntgen der großen Knochen und Knochenmarkpunktion gestellt. Im Frühstadium der Erkrankung wird der Krankheitsverlauf nur beobachtet. Treten Symptome und Komplikationen auf, können Betroffene mit Chemotherapie, Medikamenten, die das Immunsystem beeinflussen, Medikamenten, die die Knochenauflösung hemmen, und Knochenmarktransplantation behandelt werden.

Dr. med. Hans Salwender: Wir beginnen um 19 Uhr.

Schmidt-Wolff6: Das sogenannte zuwarten von dem Ärzte immer sprechen ist für unsere Familie schwer auszuhalten. Darum die Frage ab welchem Stadium – was sind dann die damit verbundenen mediz.Kriterien - muss ein Plasmozytom behandelt werden? Mit welcher Therapie beginnt man dann?

Dr. med. Hans Salwender: Der Punkt ist, dass man vermeindlich zuwartet, wenn schlicht und ergreifend die Erkrankung noch nicht ausgebrochen ist und noch nicht behandelt werden muss. Wenn also quasi noch eine Vorstufe der  bösartigen Erkrankung besteht. Diese Vorstufe kann manchmal auch 10 Jahre und mehr bestehen bleiben. So dass wir die Stadieneinteilung von Durie und Salmon, mit Stadium I bis III, verlassen haben und heute nur noch unterscheiden, ein asymtomatisches Myelom und ein behandlungsbedürftiges multiples Myelom. Behandelt werden sollte, wenn die so genannten CRAB-Kriterien erfüllt sind, nämlich eine Blutarmut besteht, der Calciumwert im Blut erhöht ist, Knochen- oder Nierendefekte bestehen. Seit einem halben Jahr werden auch weitere Parameter hinzugezogen, z. B. eine hochgradige Knochenmarkinfiltration durch Plasmazellen über 60 %, aber auch eine exzessive Verschiebung der Leichtkettenratio oder bestimmte Veränderungen im MRT. Wenn diese Kriterien erfüllt sind, wird behandelt in Abhängigkeit von biologischem Alter und körperlicher Fitness des Patienten mit Hochdosis Melphalan und Stammzelltransplantation oder einer konventionellen Therapie ohne Stammzellentransplantation.

Holleri: Wir sind noch in der Diagnostikphase und es gibt erste Ergebnisse. So wurde in der serumelektrophorese eine Erhöhung der Gammglobuline auf 30 % mit Nachweis eines eindeutigen M-Gradienten festgestellt. Ist das ein sicheres Zeichen für ein multiples Myelom? Was sind die Auswirkungen? Ist das gefährlich?

Dr. med. Hans Salwender: Eine Erhöhung der Gamma-Globuline kann durchaus auch gutartige Ursachen haben, z. B. bei einer chronischen Infektion. Ein M-Gradient spricht für eine so genannte monoklonale Gammopathie. Das bedeutet, dass von einem Immunglobulin, also einem Abwehr-Eiweiß des Körpers zum Schutz gegen Infektion, zu viel produziert wird. Ohne weitere Befunde nennen wir dies dann "unklare Signifikanz". Das bedeutet, dass bereits im Namen der Veränderung erwähnt wird, dass wir nicht wissen, ob diese Veränderung irgendeinen Krankheitswert hat. So haben ca. fünf Prozent der Menschen über 70 Jahre solch eine Erhöhung aber nur ca. sechs von 100.000 Einwohnern pro Jahr erleiden ein Myelom. D. h. die allermeisten Menschen mit einem M-Gradienten werden nie ein Myelom erleiden. Die Situation ist im Prinzip vergleichbar mit einem Leberfleck, der wahrscheinlich keinerlei Krankheitsrelevanz hat aber in seltenen Ausnahmefällen mal Hautkrebs sein kann. Es müssen sich jetzt weitere Untersuchungen anschließen, wie Laboruntersuchungen, eventuell Röntgenuntersuchungen und möglicherweise sogar eine Knochenmarkpunktion.

Temiz: 55 Jahre, eigentlich akzeptabler körperlicher Zustand trotz Stadium3, Bei meiner ersten autologen Stammzellentnahme sind noch 2 Portionen Stammzellen eingefroren worden. Das kann noch mal sehr hilfreich sein, weil konventionelle Chemos nicht erfolgreich waren. Jetzt habe ich einen neuen Knochenbefund. Was würde mir der Experte empfehlen?

Dr. med. Hans Salwender: Aufgrund der Information, die ich von Ihnen habe, kommen Sie grundsätzlich für eine erneute Stammzelltransplantation in Frage. Die mindestens genauso wichtige Frage ist nun, ob diese für Sie sinnvoll ist. Dazu ist es wichtig zu beurteilen, wie Sie die erste Stammzelltransplantation vertragen haben und wie lange diese erfolgreich war. Wenn Sie also ca. ein Jahr oder weniger nach der ersten Transplantation bereits einen Rückfall erlitten haben, würde ich eine andere Therapie vorschlagen. Wenn allerdings nach der ersten Transplantation mehrere Jahre keine weitere Therapie notwendig war, würde ich die erneute Transplantation unbedingt in meine engere Wahl ziehen. Voraussetzung für die erneute Therapie ist natürlich, dass der von Ihnen beschriebene "neue" Knochenbefund tatsächlich einem Fortschreiten der Erkrankung entspricht.

Nik: Mein Vater bekommt jetzt eine neue Therapie und zwar heißt das mittel Carfilzomib und der Wirksstoff Kyprolis oder umgekehrt. Ist das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen? Nik (16)

Dr. med. Hans Salwender: Carfilzomib ist ein sehr neues Medikament aus Amerika, welches in einer ganz aktuell veröffentlichten Studie eine hervorragende Wirksamkeit gezeigt hat. Dieses Medikament ist - weil es so neu ist - bisher in Deutschland noch nicht zugelassen, wird es aber vermutlich bald werden. Somit kann ich aufgrund dieser Therapie jetzt natürlich kein gutes oder schlechtes Zeichen ableiten. Die Aussichten für Ihren Vater hängen eher davon ab, wie  die bisherigen Therapien verliefen.

RonaldSay: Ist es richtig, dass es nur 3 wichtige Referenzwerte gibt an denen man eine Erkrankung am Multiplen Myelom sicher festmachen kann? Welche sind das außer der Knochenmarkinfiltration? Die beträgt nämlich bei meiner Mutter bisher 10%. Was bedeutet das? Unsichere Diagnose?

Dr. med. Hans Salwender: Falls sich im Knochenmark über 10 % monoklonale Plasmazellen finden, sprechen wir von einem multiplen Myelom. Die Verteilung der Plasmazellen im Knochenmark ist allerdings nicht ganz einheitlich, kann im Extremfall einem Schweizer Käse ähneln. Zusätzlich werden die Immunglobuline, üblicherweise  IgG und IgA, bestimmt. Auch hier muss unterschieden werden zwischen monoklonalem Protein, also Eiweiß nur einer einzigen Art und polyklonalem Eiweiß. Monoklonales Eiweiß über 30 g/l Blut spricht ebenfalls für ein Myelom. Zur Erklärung kurz: Die Immunglobuline IgG und IgA sind Gruppen von vielleicht tausend verschiedenen Eiweißen. Bei Infektionen sind meist mehrere von ihnen erhöht als Ausdruck einer normalen Abwehr des Körpers, das nennen wir polyklonal. Wenn nur eins dieser Eiweiße erhöht ist, nennen wir das monoklonal. Das ist bereits auffällig, aber, wie oben erwähnt, noch nicht eindeutig krankhaft. Sehr verdächtig wird es, wenn die gesamte Gruppe der IgG-Eiweiße nur noch diesem monoklonalen Eiweiß entsprechen, also in der so genannten Eiweißelektrophorese im Bereich der Gammaglobuline nicht mehr eine breite Welle der verschiedenen tausenden Immunglobuline sichtbar ist, sondern nur noch eine flache Linie mit einer hohen spitzen Zacke darauf. Dies spricht für möglicherweise eine bösartige Erkrankung. Der alleinige Befund von 10 % Plasmazellen im Knochenmark ist ohne weitere Angaben tatsächlich eine unsichere Diagnose. Andererseits bedeutet ein Plasmazellgehalt im Knochenmark von über 10 % nicht, dass eine behandlungsbedürftige Erkrankung vorliegt. Auch wenn wir diese Erkrankung bereits (asymptomatisches) Myelom nennen, erfordert die Behandlungsbedürftigkeit weitere Befunde, wie bereits oben erwähnt, Veränderungen am Knochen, Blutarmut oder Erhöhung des Calciums oder der Nierenwerte im Blut und eventuell eine Erhöhung der Plasmazellen im Knochenmark über 60 %, Verschiebung der Leichtkettenratio und besondere Herde im MRT.

Nik: Wenn es noch nicht zugelassen ist, dann kann mein Vater das Kyprolis ja noch gar nicht bekommen. Ist das also eine langfristige Planung? Das wäre ja ein gutes Zeichen, oder? Nik (16)

Dr. med. Hans Salwender: Das Carfilzomib gibt es entweder in Studien oder für Patienten, die die in Deutschland zugelassenen Medikamente bereits hatten. Bezüglich gutes oder schlechtes Zeichen wäre es - wie schon gesagt - wichtiger, wie der bisherige Verlauf war. Wenn Ihrem Vater das Carfilzomib "nur" in Aussicht gestellt wurde, gibt es möglicherweise noch eine Reihe anderer Alternativen. Derzeit muss für die Beschaffung des Carfilzomibs außerhalb von Studien vom behandelnden Arzt eine Zustimmung von der Krankenkasse eingeholt werden, was wir in meiner Abteilung allerdings auch schon mehrfach getan haben. Über das Carfilzomib hinaus gibt es mehrere Substanzen, die ebenfalls vermutlich in den nächsten 12 bis 24 Monaten in Deutschland zugelassen werden.

Melli: Ich habe ein Plasmozytom im Stadium I, IGG 3200, HB 10,2, noch keine Knochenschäden, Bence Jones im Urin. Noch sei kein Handlungsbedarf, aber ich bin unter Beobachtung. Wann sollte mit einer Behandlung begonnen werden? Warum wartet man, bis die eigentliche Krankheit ausbricht? Warum nicht gleich alles platt machen, was da nicht hingehört?

Dr. med. Hans Salwender: Zunächst einmal ist der Hämoglobinwert von 10,2 g/dl schon relativ gering, insbesondere für einen Mann. Hier sollten sicherheitshalber andere Ursachen für eine Blutarmut abgeklärt werden. Wenn es sich tatsächlich um ein so genanntes Stadium I handelt, ist zu bedenken, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Übergang in ein behandlungswürdiges Myelom pro Jahr ca. 10 % beträgt. Ich selbst betreue eine Patientin, deren maximaler IgG-Wert 5.200 betrug und die dennoch seit 1996 nie behandelt werden musste. Andererseits gibt es auch unter scheinbar einfacher, ambulanter Therapie Todesfälle, weshalb man bis vor einem halben Jahr die Erkrankung üblicherweise erst behandelte, wenn diese Schäden an der Blutbildung, am Knochen oder den Nieren anrichtete. Dennoch taten sich mit diesem Vorgehen auch international Experten schwer, so dass im November 2014 eine internationale Empfehlung veröffentlicht wurde, in der geraten wurde, Patienten zu behandeln, bei denen statistisch gesehen eine Behandlungsbedürftigkeit unmittelbar bevorstünde. Hierbei handelt es sich um die oben mehrfach genannten Parameter 60 % Knochenmarkplasmazellen, Leichtkettenratio und MRT-Herde. Aber auch hier bezieht man sich allein auf statistische Werte und kann nicht sicher sein, dass der einzelne Patient auch tatsächlich von der Therapie, die ihm möglicherweise schadet, einen Nutzen hat. Das Entscheidende ist, dass das Myelom eben nicht behandelt wird, weil es eben "da" ist, sondern wenn es Schaden anrichtet oder Schaden anrichten könnte. Diese Patienten zu identifizieren, die demnächst eine Therapie brauchen, ist relativ schwierig und u. a. Inhalt von Studien. Somit empfehle ich, die Menge der Leichtketten, die Knochen und den Calciumwert im Auge zu behalten und die Ursache für die Blutarmut weiter abzuklären.

Lehner: Kann es sein, dass in der heutigen Zeit ein multiples Myelom nicht eindeutig diagnostiziert werden kann? Oder ist möglicherweise eine Abgrezung zu einer anderen Krankheit die Schwierigkeit? Wir sind sprachlos, dass es seit Wochen keine konkrete Diagnose für die Beschwerden unserer Mutter gibt.

Dr. med. Hans Salwender: Früher war es tatsächlich einfacher, ein Myelom zu diagnostizieren, da die allermeisten Patienten sich vorstellten beim Arzt, weil ihre Knochen bereits geschädigt waren. In dieser Situation findet sich meist auch eine hochgradige Knochenmarkinfiltration, die die Diagnose beweist und aufgrund der Knochenschädigung wird gleichzeitig die Behandlungsbedürftigkeit belegt. Heute finden sich häufig im Rahmen von so genannten Gesundheits-Check-Ups Veränderungen, die man früher gar nicht gesehen hätte, die ein Frühstadium der Erkrankung darstellen. Das Myelom entwickelt sich jedoch aus einer gutartigen Vorstufe und wird diagnostiziert, wenn die Grenze von 10 % monoklonalen Plasmazellen überschritten ist. Zu diesem Zeitpunkt liegen bei den Patienten oftmals keine Organveränderungen vor, andererseits gibt es auch andere - möglicherweise nicht bösartige - Erkrankungen, die zu einer Vermehrung der Plasmazellen führen können. Somit kann es schwierig sein, genau in dieser Übergangsphase die Diagnose zu stellen, andererseits muss man bedenken, dass die Festlegung auf 10 % eine willkürliche ist. Die monoklonalen Plasmazellen in geringerer Zahl liegen ja bereits bei der so genannten monoklonalen Gammopathie unklarer Signifikanz vor. Bereits im Namen trägt diese Veränderung, dass man eben nicht weiß, ob sie eine Krankheit darstellt oder nur eine Laborveränderung ohne Krankheitswert. Ganz davon abgesehen ist es für den Patienten weniger wichtig, ob er jetzt 11 % Plasmazellen oder 9 % hat, sondern ob er eine Erkrankung hat, von der er etwas spürt, an der er möglicherweise leidet und die behandelt werden muss. Für die Behandlungsbedürftigkeit und Wahrscheinlichkeit, ob der Patient von dieser Erkrankung (jemals) etwas spürt, sind aber andere Veränderungen wichtiger als 11 % Plasmazellen, nämlich die wiederholt oben genannten Veränderungen am Blutbild, Knochen und Nieren.

Heiko-Hasse: Als uns der Onkologe sagte, wir müssen für Sie eine individuelle Chemo zusammenstellen, habe ich erst gedacht, das sei gut. Inzwischen bin ich da nicht mehr überzeugt, denn je individueller das alles ist, desto weniger Erfahrung ist da mit den Substanzen und der Zusammensetzungen. Welches sind feststehende Faktoren, die immer Teil einer solchen Chemotherapie sind?

Dr. med. Hans Salwender: Die Therapie kann tatsächlich in gewissem Umfang individuell angepasst werden - sollte sie auch. Insbesondere, wenn es sich um die Therapie des Rückfalls handelt, wo viele Faktoren, wie Erfolg der Ersttherapie, unerwünschte Wirkung, Nierenfunktion und Blutbildung eine Rolle spielen. Aber auch bei der Erstbehandlung ist individuell zu berücksichtigen, ob der Patient für eine Hochdosistherapie geeignet ist, ob er möglicherweise eine relevante Nierenschädigung hat, eventuell eine bestimmte genetische Veränderung vorliegt oder auch persönliche Dinge für eine bestimmte Therapie sprechen. Das heißt nicht, dass es bei der Erst-Linien-Behandlung somit hundert verschiedene Varianten gäbe, aber sehr wohl vielleicht vier oder fünf. Eine Abteilung, die eine größere Zahl von Patienten mit dieser Erkrankung behandelt, hat dann üblicherweise bei jeder dieser Therapien ausreichend Erfahrung.

Gelsenkirchen: Es ist immer die Angst da, dass die Krankheit zurückkommt. Deshalb die prophylaktische Frage, was geht noch NACH allogener Stammzelltransplantation und einer Hochdosis-Chemotherapie

Dr. med. Hans Salwender: Die allogene Stammzelltransplantation ist eine Behandlung für den allerkleinsten Teil der Myelom-Patienten. Im Gegensatz dazu erhalten die allermeisten Patienten bis ca. 70 Jahre, fitte auch darüber, eine Hochdosis-Chemotherapie mit der Transplantation eigener, also autologer, Stammzellen. Diese autologe Transplantation bietet gerade die Möglichkeit, alle anderen verfügbaren Therapien für das multiple Myelom anschließend noch einzusetzen. Das können heutzutage ohne Schwierigkeiten zehn verschiedene Therapiearten sein, die es gilt in der sinnvollsten Abfolge einzusetzen, damit der Patient den größten Nutzen von der Therapie hat und die geringsten anhaltenden unerwünschten Wirkungen. Der erste Satz Ihrer Frage kann allerdings auch so verstanden werden, ob man nach einer Hochdosis-Therapie UNMITTELBAR weiter behandeln sollte. Dazu ist zu sagen, dass der Reiz der Hochdosis-Therapie gerade darin besteht, dass man mit ihr anschließend eine längere krankheitsfreie, aber auch behandlungsfreie, Zeit erreichen kann, die üblicherweise einige Jahre beträgt. Deshalb sollte die Hochdosis-Therapie auch als Erstbehandlung durchgeführt werden, weil die krankheitsfreie Zeit bei späterem Einsatz der Hochdosis-Therapie abnimmt aber der Aufwand der Therapie gleich bleibt. Dennoch gibt es in praktisch allen internationalen Studiengruppen den Versuch, mit einer so genannten Erhaltungstherapie, den Rückfall weiter hinauszuzögern. Dies ist tatsächlich auch möglich. Allerdings ist nicht gesichert, dass das Gesamtüberleben des Patienten durch diese frühzeitige Behandlung länger ist, als wenn man den Rückfall der Erkrankung abwartet und dann erneut behandelt. Hierzu gibt es widersprüchliche Studien. Wir haben die Hoffnung, dass mit der Verzögerung des Krankheitsrückfalles auch das Überleben verlängert wird und forschen entsprechend in diesem Bereich weiter. Dennoch ist z. B. aufgrund der bisherigen Daten kein Medikament für eine Erhaltungstherapie nach Hochdosis zugelassen. Man muss bedenken, dass bei einer fortgesetzten Behandlung auch  das fortgesetzte Risiko von unerwünschten Wirkungen besteht. Um diese zu vermindern, werden bei einer Erhaltungstherapie - wenn sie denn durchgeführt wird - die Medikamente in einer weitaus geringeren Dosis eingesetzt, als zur Behandlung der Erkrankung zum Zeitpunkt des Rückfalls.

REGER: Schock erstmal verdaut. Was kommt jetzt nach der Diagnose, die endlos gedauert hat, auf mich zu. Wie werde ich wieder gesund bzw. symptomarm oder symptomfrei. Wie wird meine Lebensqualität sein?

Dr. med. Hans Salwender: Das hängt ein wenig von Ihrem Alter und sonstigen Erkrankungen ab. Davon abhängig gibt es verschiedene Therapien, die bei jüngeren Patienten insbesondere das Ziel haben, die Erkrankung zu beseitigen, bis sie tatsächlich nicht mehr nachweisbar ist, um - im günstigsten Fall - zu verhindern, dass die Erkrankung jemals wieder kommt. Der zweite Ansatz der Therapie besteht darin, mit der Erkrankung zu leben, wie mit jeder anderen chronischen Erkrankung, z. B. Diabetes oder Bluthochdruck, die Sie ja auch nicht heilen, sondern nur behandeln können. Hierbei wird die Therapie ausgerichtet an der Wirksamkeit aber auch daran, dass Sie nicht statt an der Erkrankung an der Therapie leiden. Damit sollte es mit ein wenig Glück möglich sein, dass Sie mit dieser Erkrankung ohne allzu große Einschränkungen lange Jahre leben können, möglicherweise ohne allzu große Einschränkungen Ihrer sonst alterentsprechenden Lebenserwartung.

Marx: Gibt es Konsens über die optimale Chronologie der Behandlung? Es geht um meinen Bruder ob mit Chemo begonnen werden soll, oder gleich mit einer Stammzelltherapie. Er braucht auch noch was wirksames gegen die Knochenschmerzen. Erbitte die Empfehlung von Dr. Salwender. Herzlichen Dank.

Dr. med. Hans Salwender: Es gibt für einzelne Patientengruppen weitestgehenden Konsens in der Therapie. Für einen Teil der Patienten - insbesondere der älteren Patienten - hängen Therapieempfehlungen aber durchaus auch von den persönlichen Bedürfnissen des Patienten ab. Die Stammzelltherapie - und hierbei spreche ich nur über die autologe Stammzelltherapie, also mit eigenen Stammzellen - wird immer im Zusammenhang mit einer Chemotherapie durchgeführt. Also nicht Chemo ODER Stammzelltherapie. Es ist üblich, diese Hochdosis-Chemotherapie mit nachfolgender Stammzelltherapie vorzubereiten mit einer ambulanten Behandlung, die meist auch niedriger dosierte Chemotherapie beinhaltet, über ca. drei Monate. Allgemein ist aber für jüngere Patienten nach dieser Vorbehandlung die Stammzelltherapie mit Hochdosis-Chemo die Standardempfehlung.

Geibesko: Warum muss ich erst eine Chemo machen und dann vielleicht eine Transplantation später? Wann ist eine Stammzelltransplantation sinnvoll bei MM? Wäre es nicht besser gleich damit anzufangen, um insgesamt die Chancen zu erhöhen. Ich sehe an Mitpatienten, dass die eine Frau jetzt endlich die Übertragung bekommt, aber inzwischen geht es ihr körperlich so was von schlecht, dass ich das für mich lieber anders hätte. Aber ich soll erst Chemo machen.

Dr. med. Hans Salwender: Ich möchte zunächst etwas erläutern: Sie sprechen über Transplantation, es gibt aber zwei verschiedene. Es gibt die Transplantation von fremden Stammzellen inklusive eines fremden Immunsystems, welches das Myelom des Patienten bekämpfen soll. Dieses Verfahren ist riskant, hat einen unsicheren Nutzen und sollte nur in Studien durchgeführt werden. Insgesamt ist diese Behandlung vielleicht für ein oder zwei Prozent der Patienten mit Myelom vorgesehen. Bei allen anderen Transplantationen ist etwas vollkommen anderes gemeint. Hierbei entnehmen wir Stammzellen - also blutbildende Zellen - des Patienten und lagern sie in flüssigem Stickstoff. Eins der wichtigsten Medikamente bei der Behandlung des Myeloms ist das Melphalan, welches bereits seit den sechziger Jahren zur Behandlung des Myeloms eingesetzt wird. Wir wissen, je höher die verabreichte Dosis des Melphalans ist, um so wirksamer ist die Therapie. Andererseits wird mit steigender Melphalan-Dosis zunehmend die Blutbildung unterdrückt bzw. (komplett) geschädigt. Somit macht die Entnahme eigener Stammzellen und die nach der Chemotherapie durchgeführte Rückgabe überhaupt nur die hochdosierte Gabe des effektiven Melphalans möglich. Die alleinige Entnahme und Rückgabe Ihrer eigenen Stammzellen - ohne begleitende Chemotherapie - hätte gar keinen Effekt. Auch, wenn Patienten und wir Ärzte umgangssprachlich von der autologen Stammzelltransplantation als Therapie sprechen, meinen wir immer die hochdosierte Melphalan-Chemotherapie, die nur durch die Unterstützung Ihrer eigenen Stammzellen möglich wird. Eine Behandlung mit Hochdosis Melphalan und autologen Stammzellen ganz alleine, ist möglich, dann erwarten wir allerdings ein Wiederaufflammen der Erkrankung bereits nach ca. 22 Monaten. Um diese krankheitsfreie Zeit zu verlängern, wird in nahezu allen Fällen die Hochdosis-Melphalan-Behandlung bzw. Stammzelltransplantation vorbereitet durch eine dreimonatige ambulante Behandlung, welche u. a. auch Chemotherapie enthält. Durch die Kombination von Chemotherapie und Transplantation ist dann anschließend eine weitaus längere krankheitsfreie Zeit zu erwarten. Dieses Gesamtpaket sollte tatsächlich bei jüngeren Patienten - bis ca. 70 Jahre - als Erstbehandlung erwogen werden.

Dr. med. Hans Salwender: Ich bedanke mich bei allen Teilnehmern dieser Sprechstunde für die vielen interessanten Fragen und die rege Teilnahme. Ihnen allen wünsche ich nun einen angenehmen Abend und verabschiede mich.



Ende der Sprechstunde.