Nierenzellkarzinom: Weiter leben durch gezielte Behandlung

Prof. Dr. med. Andres Jan Schrader
Stellvert. Klinikdirektor und Ltd. Oberarzt 
Klinik für Urologie
Universität Ulm
89070 Ulm
 
Tel.: 0731-500 58027
 
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Schwerpunkte
 
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PROTOKOLL

Nierenzellkarzinom: Weiter leben durch gezielte Behandlung

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Wir beginnen um 19 Uhr.

K.Gollenka : K. Gollink Ich bin immer wieder überrascht, dass die meisten Menschen dauerhaft und ohne nachzudenken über lange Strecken zu Schmerzmitteln greifen. Dabei ist bekannt, dass Schmerzmittelmißbrauch eine ganz wichtige Rolle spielt bei Nierenkrebs, insbesondere mit Übergewicht. Was zählt da, ob man Schmerzmittel über Jahre nimmt, oder wie stark die Schmerzmittel sind, oder geht es um bestimmte Substanzen?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Vielen Dank für die Frage! Grundsätzlich haben Sie vollkommen Recht, dass man Schmerzmittel nur mit Bedacht über längere Zeit einsetzen sollte. Es gibt viele Schmerzmittel, die bei Patienten mit Niereninsuffizienz akkumulieren. Allerdings führen Schmerzmittel, die heute verkäuflich sind oder rezeptiert werden, eigentlich nicht zu Nierenkrebs. Das Schmerzmittel Phenacetin, das für schwere Nierenerkrankungen und auch Tumorerkrankungen verantwortlich war, ist heute eigentlich nicht mehr gebräuchlich. Übergewicht hingegen ist allerdings in der Tat ein Faktor für die Entwicklung von Nierenkrebs.

Eskenberg : Wenn die Nierenfunktion abnimmt bedeutet das, dass weniger Urin ausgeschieden wird, oder dass die Menge normal erscheint, aber die Nieren die Giftstoffe nicht mehr ausfiltern?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Eine abnehmende Nierenfunktion kann sowohl dazu führen, dass die Giftstoffe nicht mehr adäquat ausgeschieden werden als auch dazu, dass weniger Wasser vom Körper ausgeschieden wird, sprich Urin gebildet wird. Klassisch bedeutet allerdings die Einschränkung der Nierenfunktion (Niereninsuffizienz) die Verminderung der Nierenleistung bezüglich der Ausscheidung von Giftstoffen.

Testing : Haben Krebstumore überwiegend die gleiche Entstehungszeit? Also entwickelt sich Darmkrebs genauso lange wie Nierenkrebs? Wie lange dauert es, bis in der Niere ein Tumor entsteht?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Man kann verschiedene Krebserkrankungen grundsätzlich nicht miteinander vergleichen. Die Zellen, aus welchen sich Tumore entwickeln, sind grundsätzlich schon einmal grundverschieden. Selbst, wenn wir nur den Nierenkrebs betrachten, kann die Wachstumsgeschwindigkeit von Patient zu Patient deutlich variieren. Wir wissen allerdings, dass Nierentumore am Anfang ihrer Entstehung, sprich, wenn sie noch klein sind, in den allermeisten Fällen sehr langsam wachsen. Bis zu einer Größe von 4 cm beträgt die durchschnittliche Wachstumsgeschwindigkeit lediglich 2 - 3 mm pro Jahr. Sind die Tumor größer, nimmt die jährliche Wachstumsgeschwindigkeit deutlich zu, das Metastasierungsrisiko steigt stark. Natürlich gibt es große interindividuelle Unterschiede. Im Ausnahmefall können natürlich auch kleine Tumore schnell wachsen.

Delal : Würde in einer normalen Blutuntersuchung auffallen, wenn sich in der Nierenfunktion etwas verändert?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Diskrete Verschlechterungen der Nierenfunktion fallen in einer Routineblutuntersuchung nicht auf. Einen Anstieg des Serum-Kreatinin-Wertes, das ist der einfachste und gebräuchlichste Marker einer Niereninsuffizienz, sieht man jedoch schon bei mittelgradigen Einschränkungen der Nierenfunktion. Sensitivere Marker einer Niereninsuffizienz, die es sehr wohl gibt, werden in der Routine jedoch nicht eingesetzt.

Jochen : Mutter 59 Jahre. Nierenzellkrebs 3p-, mit Metastasen, mehr Angaben habe ich leider nicht zugänglich. Eine Interleukinbehandlung schien zunächst anzuschlagen, riesiger Aufwand, sehr belastend und am Ende waren wir sehr enttäuscht, als die Behandlung doch keinen Erfolg hatte. Jetzt soll es mit Nexavar weitergehen. Was ist anders daran, oder müssen wir uns darauf einstellen, dass auch dieses Medikament nicht wirkt?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Wenn Nierenkrebs bereits Metastasen gebildet hat, ist er in den allermeisten Fällen leider nicht mehr heilbar. Die Behandlung mittels Interleukin-2 als unspezifische Immuntherapie war ebenso wie die Behandlung mittels Interferon-Alpha die Standardtherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms bis vor wenigen Jahren. Leider war die Toxizität sehr hoch, dauerhafte Therapieerfolge selten. Deshalb werden seit etwa fünf Jahren diese unspezifischen Immuntherapien nur noch sehr selten bzw. als Einzelfallentscheidung eingesetzt. Der Standard in der Behandlung des metastasierten Nierenzellkarzinoms ist heute die Behandlung mittels eines Tyrosinkinaseinhibitors. Diese Substanzen blockieren mehr oder weniger selektiv die Signalwege, die in Nierenzellkarzinomen "defekt" sind. Damit ist ihre Verträglichkeit in den allermeisten Fällen besser, die unerwünschten Wirkungen unterscheiden sich deutlich von denen einer Immuntherapie oder gar einer Chemotherapie. Nexavar ist einer der gebräuchlichsten und am besten untersuchten Tyrosinkinaseinhibitoren und hat Wirksamkeit insbesondere auch bei Patienten gezeigt, die zuvor mittels einer Immuntherapie behandelt wurden.

Örtel : Bin in einer Avastinbehandlung und habe das Gefühl, dass seither kleine Wunden nicht mehr gut heilen. Z.B. habe ich mir beim Gemüse putzen in den Finger geschnitten, und auch eine Blase am Fuß. Kann das zusammenhängen?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Avastin hemmt die Neubildung kleiner Blutgefäße. Auf diesem Mechanismus basiert auch seine Wirkung gegenüber verschiedenen Tumoren. Auch bei der Wundheilung ist die Neubildung kleiner Blutgefäße im Einzelfall von Relevanz. Somit kann theoretisch unter einer Avastin-Behandlung die Wundheilung verzögert sein. Schwere Wundheilungsstörungen sind jedoch nicht beschrieben und braucht man nicht zu befürchten.

Aria : Sind Tyrosinkinaseinhibitoren noch in der Erprobung oder schon in der Anwendung? Gibt es Erkenntnisse für welches Stadium die geeignet sind?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Tyrosinkinaseinhibitoren stellen seit sechs Jahren die Standardtherapie des metastasierten Nierenzellkarzinoms dar. Zugelassen wurden bis heute allein in der Indikation metastasiertes Nierenzellkarzinom vier Substanzen: Sunitinib, Sorafenib, Pazopanib und Axitinib.

Kölle : Ich muss mir ganz dringend einen wackelnden Zahn entfernen lassen. Habe da auf einen Stein im Brot gebissen und der Zahn ist gespalten innerhalb der Krone. Dort setzen sich gegenwärtig Bakterien ab. Ich merke das, weil ich dauernd einen komischen Geschmack im Mund habe. Muss ich deshalb eine Nexavar-Behandlung unterbrechen? Mein Arzt meint ja. Ich will das aber nicht, das muss auch ohne diese Unterbrechung gehen und trotzdem wieder heilen. Ich bitte um die Meinung von Prof. Schrader. Danke.

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Wenn es sich nur um eine simple Entfernung des Zahnes handelt und keinen größer kieferchirurgischen Eingriff, ist es nicht notwendig, Nexavar abzusetzen. Selbst, wenn es sich doch um einen kieferchirurgischen Eingriff handeln sollte, reicht heute das Pausieren vor dem Eingriff von nur ein bis drei Tagen. Früher hatte man größere Bedenken, operative Eingriffe unter den neuen Tyrosinkinaseinhibitoren durchzuführen. Man weiß jedoch, dass das Risiko für Wundheilungsstörungen im Kiefer steigt, wenn vor einem chirurgischen Eingriff der Tyrosinkinaseinhibitor mit einer Bisphosphonat, wie Zoledron-Säure, kombiniert wurde.

Haffke : Vor 10 Jahren wurde mir wegen Nierenkrebs die linke Niere entfernt. Alles gut. Vor 2 Wochen hat man eine kleine Metastase in der Lunge gefunden ? ist das wirklich so, woher weiß man, dass es sich nicht um Lungenkrebs handelt? ? mit einer Gesamtgröße von unter 2cm entdeckt. Kann das wirklich eine Metastase vom Nierenkrebs sein nach so langer Zeit? Ich bin total verunsichert. Was ist besser, operieren lassen, damit das Ding weg ist oder eine systemische Therapie?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Grundsätzlich ist es möglich, wenn auch selten, dass metachrone Metastasen eines Nierenkrebses auch nach so vielen Jahren noch auftreten. Zehn Jahre nach der Erstdiagnose Nierenkrebs würde ich mich aber auf keinen Fall darauf verlassen, dass es sich wirklich um eine Nierenkrebsmetastase handelt. Man muss in Ihrem Fall konkret ausschließen, dass es nicht einen neuen Zweittumor gibt und prüfen, ob es sich überhaupt um eine Metastase handelt. Eine histologische Sicherung, z. B. mittels Biopsie oder gar kompletter Resektion ist insbesondere vor Einleitung einer systemischen Therapie dringend notwendig.

Tränckler : Mein Vater hat immer reichlich getrunken. Keine harten Sachen, in erster Linie Bier. Ich fand das als Kind schon immer eklig, wenn er so nach Alkohol roch. Heute würde ich sagen, war er damals schon Alkoholiker, obwohl er das bis heute bestreitet. Ich suche nicht nach Schuldzuweisung, aber wenn ich ganz ehrlich bin, muss ich nicht dauernd vor Mitleid zerfließen, wenn er denn auch noch Schuld ist an dem ganzen Mist. Deshalb die Frage: Ist Alkohol Auslöser für Nierenkrebs?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Ein unsteter Lebenswandel, insbesondere eine ungesunde Ernährung kann die Entstehung vieler Krebserkrankungen begünstigen, so auch die Entstehung von Nierenzellkarzinomen. Alkohol für sich ist jedoch kein hochgradiger Risikofaktor für die Entstehung von Nierenkrebs. Hier ist anzumerken, dass bei der Entstehung von Nierenkrebs im Gegensatz zu anderen Tumorerkrankungen - wie Lungen- oder Harnblasenkrebs - einzelne Risikofaktoren, wie z. B. auch Rauchen, keine so entscheidende Rolle spielen.

Knörz : Es gibt 5-4 Hauptarten von Nierenkrebs. Richtig? Dann noch einige seltene Formen. Das ist gut zu wissen, aber bringt uns das wirklich weiter? Gibt es denn für jede Art auch ein besonderes Medikament, das besonders hilft?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Sie haben vollkommen Recht. Die drei häufigsten Arten des Nierenzellkarzinoms sind das klarzellige Karzinom, was etwa 75 - 80 % der Nierenzellkarzinome ausmacht, relativ häufig sind noch das papilläre und chromophobe Nierenzellkarzinom. Alle anderen Nierenzellkarzinom-Subtypen sind extrem selten. Leider werden die meisten Studien, anhand welcher neue Medikamente geprüft und etabliert werden, an diesen drei häufigsten Subtypen, viele gar nur am klarzelligen Nierenzellkarzinom, durchgeführt. Somit wissen wir auch heute nur wenig über die Wirksamkeit der verschiedenen verfügbaren Substanzen in der Behandlung der seltenen Nierentumore. Dies führt dazu, dass in der Praxis die meisten Nierenzellkarzinome so behandelt werden, als wären es klarzellige Nierenzellkarzinome, auch wenn sie sich genetisch wie morphologisch deutlich voneinander unterscheiden. Dies ist ein Feld, in dem die Wissenschaft in näherer Zukunft dringend gefordert ist, um diese Wissenslücke zu schließen.

Goose : Gibt es einen Marker der feststellt, ob bestimmte Chemotherapien überhaupt Wirkung auf Nierenzellkrebs haben, wie es sowas für andere Krebserkrankungen gibt, um eine nicht geeignet Therapie im Vorfeld auszuschließen?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Die klassische Chemotherapie ist beim Nierenzellkarzinom leider wirkungslos. Systemische Therapien, die man im entferntesten auch als Chemotherapien bezeichnen könnte, und die beim Nierenzellkarzinom Anwendung finden, basieren auf der Anwendung von Tyrosinkinaseinhibitoren und mTOR-Inhibitoren. Leider wissen wir im Vorfeld der Behandlung nicht, welcher Patient von welcher Substanz am meisten profitieren wird. Viele aktuelle Studien versuchen, diese Frage zu klären und beschäftigen sich auch mit der optimalen Therapiesequenz. Wie gesagt, fehlen verlässliche Marker jedoch bis heute.

Schürmann : Mein Bruder hat Nierenkrebs. Wenn es so etwas wie Stadien gibt ist das glaube ich im Stadium II. Leider sind inzwischen beide Nieren befallen). Meine Frage ist: Gibt es überhaupt noch eine Chance auf Heilung, wenn beide Nieren betroffen sind. Tumore sind noch ganz klein?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Solange das Nierenzellkarzinom keine Fernmetastasen gebildet hat, ist eine Heilung auf jeden Fall denkbar und anzustreben. In jedem Fall sollten die Primärtumoren vollständig chirurgisch entfernt werden. Hierbei spielt es keine Rolle, ob eine oder beide Nieren betroffen sind. Heutzutage ist man auch durchaus in der Lage, nierenerhaltend zu operieren. Die Entfernung der gesamten Niere oder, wie bei Ihrem Bruder der Fall, beider Nieren, ist glücklicherweise kaum noch notwendig.

Graebeling : Warum bekommen Männer häufiger Nierenkrebs im Vergleich zu Frauen? Liegt es am Alkoholkonsum?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Warum Männer häufiger an Nierenzellkarzinomen leiden als Frauen, ist nicht abschließend geklärt. Wahrscheinlich spielen hormonelle Ursachen eine Rolle. Der hier suggerierte unterschiedliche Alkoholgenuss spielt sicherlich keine Rolle.

Lukas_Nagel : Meine Mutter leidet unter erheblichem Hautausschlag. Wir führen das auf den Wirkstoff Sorafinib/Nexavar zurück. Sie traut sich nicht aus dem Haus. So eine Phase kann man überbrücken, wenn man weiß, das geht wieder vorbei und die Behandlung schlägt an. Wie lange dauert so ein Ausschlag, gewöhnt sich er Körper daran oder bleibt das die ganze Zeit?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Hautveränderungen unter der Behandlung mit Nexavar können leider auftreten. Meist sind sie temporär, d. h. es kann gut sein, dass sie nach wenigen Tagen bis Wochen wieder abnehmen oder sogar ganz verschwinden. Dies ist individuell leider sehr unterschiedlich und schlecht vorherzusagen. Man sollte auf jeden Fall das Präparat deswegen nicht zu früh absetzen, da das Auftreten unerwünschter Wirkungen in vielen Fällen auch mit dem Ansprechen der Präparate assoziiert sein können. Für Hautveränderungen ist dies wissenschaftlich noch nicht belegt, aber auch nicht auszuschließen. Sie können Ihrer Mutter raten, starke Sonneneinstrahlung, reizende Kleidungsstücke oder eine mechanische Belastung der betroffenen Areale nach Möglichkeit zu vermeiden.

Cornelis : Ich hatte eine Infusionsbehandlung und soll jetzt auf Tabletten umsteigen. Das klingt verlockend. Sehr viel mehr Freiheit, aber können Tabletten wirklich genauso gut sein?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Die Wirksamkeit einer Substanz hängt ab von ihrem Wirkmechanismus bzw. dem dem Tumor zugrundliegenden genetischen Defekt. Die Applikation des Wirkstoffes, sprich ob man ihn als Tablette oder als Infusion bekommt, hingegen ist irrelevant.

Bornemannlaus : Vergleicht man Avastin und Nexavar miteinander, welche Behandlung hat weniger Nebenwirkungen? Mir ist z.B. ganz wichtig dass ich meine Haare behalten kann! Klingt vielleicht oberflächlich, aber wenn ich mich dann auch noch optisch so verändere, das macht es um so schwerer und wenn ich die Wahl habe das zu verhindern, würde ich mich immer entsprechend entscheiden.

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Die unerwünschten Wirkungen von Avastin und Nexavar unterscheiden sich in mehreren Punkten. Gemein ist, dass die Patienten unter beiden Substanzen im Allgemeinen ihre Haare behalten. Haarverlust ist eher selten, tritt aber unter der Anwendung von Tyrosinkinaseinhibitoren tendenziell noch etwas häufiger auf. Wie gesagt, über Haarverlust würde ich mir in keinem Fall wirklich Gedanken machen. Es kann allerdings zu Veränderungen der Haarfarbe oder Hautveränderungen kommen, beides ist jedoch reversibel.

Kianu : Muss mit Teststreifen regelmäßig testen, ob mein Urin nicht zu viel Eiweiß ausscheidet. Das hatte ich nämlich mal eine kurze Zeit. Momentan bin ich gerade so an der Grenze, aber der Onkologe ist vorsichtig und schlägt vor, dass erst das Eiweiß runter muss, dann kann eine Therapie mit einer wohl ziemlich neuen Substanzklasse Sorafaneb o.ä. beginnen. Ich bin mir sicher, dass es viele Patienten gibt, die erhöhte Eiweißausscheidungen haben, so was muss doch eigentlich bei der Entwicklung einer Behandlung berücksichtigt werden, oder? Schlägt die Therapie dann nicht an, oder worum geht es da?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Vermehrte Eiweißausscheidung im Urin, eine so genannte Proteinurie, kann unter den neuen zielgerichteten Substanzen auftreten und wurde insbesondere für die Applikation von Avastin beschrieben. Eine klinische Relevanz hat sie allerdings in den allermeisten Fällen nicht. Die neuen Tyrosinkinaseinhibitoren, zu denen auch Sorafenib gehört, werden großteils über die Leber verstoffwechselt. Deshalb sind sie auch bei Patienten mit schlechter Nierenfunktion, ja sogar bei Dialyse-Patienten, problemlos einsetzbar. Ich hätte deshalb keine Bedenken, bei einer milden bis moderaten Proteinurie eine Behandlung mittels Sorafenib zu beginnen oder fortzusetzen.

Didem : Mein Onkologe ist ganz alert was eine mögliche Thrombose anbelangt, so dass ich den Eindruck habe, dass man bei einer Krebsbehandlung da plötzlich zusätzlich gefährdet ist. Stimmt das? Wüsste gern die Erfahrung und Eischätzung des Prof. Schrader.

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Eine metastasierte Tumorerkrankung kann in der Tat ein Risikofaktor für das Auftreten einer tiefen Beinvenenthrombose sein. Dieses Risiko ist jedoch von Patient zu Patient und von Krebsleiden zu Krebsleiden sehr unterschiedlich und wird noch durch viele anderen Risikofaktoren bzw. Begleitumstände beeinflusst.

Linda : Als Kind bin ich gegen verstärkte Blutungen behandelt worden. Aber mit der Pubertät war das dann nicht mehr nötig und ich habe als erwachsener Mensch ein ganz normales Blutbild, bißchen wenig Eisen, wie die meisten Frauen das haben. Jetzt an Nierenkrebs erkrankt und kämpfe mit den Folgen der verschiedenen Therapien. Bedingt durch einen Umzug musste ich mir ein neues onkologisches Zentrum suchen und habe die Blutungsneigung als Kind erwähnt in dem Anamnesebogen. Jetzt will der Onkologe die angefangene Therapie hinterfragen (Avastin) und ich habe das Gefühl, ich fang von vorn an. Ist das wirklich erforderlich?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Wenn Sie in den letzten Jahren nicht unter verstärkter Blutungsneigung gelitten haben, würde ich mir grundsätzlich auch unter den neuen zielgerichteten Substanzen keine großen Sorgen machen. In der Tat wurden gerade unter Avastin etwas erhöhte Raten an Blutungen aus dem Magen-Darm-Trakt beschrieben, insgesamt sind diese jedoch sehr selten. Bei einem metastasierten Nierenkrebs handelt es sich um eine lebensbedrohliche Erkrankung. Meiner Meinung nach sollte eine potentiell wirksame Therapie einem Patienten nicht grundsätzlich vorenthalten werden, nur weil eventuell behandlungsassoziierte Toxizitäten, wie auch Blutungen, auftreten könnten. Aber Ihr Hämatoonkologe ist sicherlich Fachmann auch auf dem Gebiet der Gerinnungsstörungen. Er wird sicherlich rasch feststellen können, ob bei Ihnen wirklich eine verstärkte Blutungsneigung vorliegt.

Alexia.Föhlich : Ich habe ein starkes Herz, bin recht gut trainiert, aber durch meine gesamte Familie ziehen sich Herz-Kreislauf-Probleme. Das findet mein behandelnder Onkologe jetzt so alarmierend, dass er sagt, es kämen da jetzt verschiedene Behandlungen, die unter QUOT1normalenQUOT2 Bedingungen besonders geeignet gewesen wären für mich nicht in Frage, aber er hätte Alternativen. Das verunsichert mich komplett. Ich habe das Gefühl, dass ich jetzt eine Zweit- oder Drittklassige Behandlung bekomme. Damit meine ich nicht, dass die Mixtur in der Qualität schlechter wäre, sondern für mich persönlich nicht optimal was den Nierenzellkrebs angeht. Reicht es aus, wenn eine Krankheit in der Familie häufig vertreten ist, dass daraus für mich derart tiefgreifende Einschränkungen zum Tragen kommen, damit ich z.B. keine Herzinsuffizienz entwickele?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Es könnte sein, dass Ihr behandelnder Onkologe Bedenken gegenüber dem Einsatz von Tyrosinkinaseinhibitoren hat. Anlässlich der letzten Hauptversammlung der amerikanischen Gesellschaft für Onkologie wurden zwei Studien vorgestellt, die sich genau mit dieser Thematik befassen. Hier konnte gut herausgearbeitet werden, dass unter Tyrosinkinaseinhibitoren das Risiko für die Entwicklung einer Herzinsuffizienz eigentlich nur dann gegeben ist, wenn der Patient bereits ein "vorgeschädigtes" Herz aufweist. Für herzgesunde Patienten ist das Risiko einer Entwicklung einer Herzinsuffizienz, d. h. Herzschwäche, unter Tyrosinkinaseinhibitoren minimal. Selbst, wenn diese auftreten sollte, ist sie in den allermeisten Fällen nach Absetzen des Präparates vollständig reversibel. Regelmäßige Kontrollen des Blutdruckes, des EKGs und der Herzpumpleistung unter einer solchen Therapie sind jedoch sicher ratsam.

Havinga-Lolo : Welchen konkreten Vorteil bietet mir ein Umstieg von Sutent auf Nexavar? Geht es mir besser, lebe ich dadurch länger?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Grundsätzlich sollte ein Präparat dann umgesetzt werden, wenn es nicht mehr wirksam ist oder intolerable unerwünschte Wirkungen verursacht. Sollte einer dieser beiden Umstände bei Ihnen vorliegen, profitieren Sie von einem Wechsel des Präparates. Es gibt glücklicherweise zwischen den verschiedenen Tyrosinkinaseinhibitoren, zu denen auch Sutent und Nexavar gehören, keine kompletten Kreuzresistenzen. Somit kann z. B. Nexavar auch im Fall eines Tumorprogresses unter Sutent noch gute Wirksamkeit zeigen und damit Ihr Überleben verlängern. Viele Studien in den letzten Jahren haben gezeigt, dass der sequenzielle Einsatz verschiedener Präparate das durchschnittliche Überleben der Patienten mit metastasiertem Nierenzellkarzinom signifikant, zum Teil um mehrere Jahre, verlängern kann.

Warneke : Meine Frau leidet unter starker Appetitlosigkeit (Interleukin-2-Bahandlung). Gibt es was, das ihren Appetit anregen könnte?

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Interleukin-2 ist ein unspezifischer Aktivator des Immunsystems. Seit der Einführung der neuen Tyrosinkinaseinhibitoren sowie der mTOR-Inhibitoren wird es in Deutschland nur noch sehr selten eingesetzt. Durch seinen Wirkmechanismus, das Immunsystem unspezifisch zu aktivieren, kommt es zu vielerlei grippeähnlichen Symptomen. Hierzu kann auch der Appetitverlust gehören. Viele therapeutische Möglichkeiten dieser unerwünschten Wirkung gibt es leider nicht. Ich kann Ihrer Frau lediglich raten, die Speisen und Getränke zu sich zu nehmen, die sie am liebsten mag, bzw. die ihr unter der Behandlung am besten bekommen. Hilfreich ist ebenfalls, eher viele kleine Mahlzeiten zu sich zu nehmen als wenige größere. Eventuell ist auch Dosisreduktion der Interleukin-2 zu erwägen. Hier könnte Ihre Frau noch einmal mit ihrem behandelnden Arzt Rücksprache nehmen. Bei intolerablem Appetit- bzw. Gewichtsverlust kann auch über die Umstellung der Therapie nachgedacht werden.

PROF. DR. ANDRES JAN SCHRADER: Ich danke Ihnen für die vielen interessanten Fragen und die rege Teilnahme an dieser Sprechstunde. Ich wünsche Ihnen allen einen angenehmen Abend!

MODERATOR : Mit freundlicher Unterstützung von BAYER VITAL GMBH



Ende der Sprechstunde.